Bruce Springsteen und seine E Street Band begeisterten mehr als 43.000 Fans beim Konzert in der Hannoveraner AWD-Arena. Es war das einzige in Norddeutschland.

Hannover. Die Ersten sind schon seit Tagen hier. Sie haben sich mit schwarzem Edding eine Nummer auf den Handrücken schreiben lassen, übernachten vor oder in der Nähe der AWD-Arena und kommen alle paar Stunden wieder zum sogenannten Rollcall vor das Eingangstor der Nordkurve – um bei einer Art Zählappell zu bekunden, dass sie immer noch willens sind auszuharren. Mit nur einem Ziel: Bruce Springsteen beim Konzert in Hannover so nah wie nur möglich zu sein.

Organisiert wird all das von zwei holländischen Fans, die auch mitten in der Nacht Neuankömmlinge in Empfang nehmen und erst stoppen, als am Dienstagnachmittag 600 Nummern vergeben sind. An 600 „Boss“-Jünger, die sich häufig schon seit Jahren kennen, die so manche Nacht bei Wind und Wetter gemeinsam durchgestanden haben und für die ein Springsteen-Auftritt weit mehr ist als nur irgendein Konzert. Das gilt auch für Anne, die später wie immer in der ersten Reihe steht, tanzt und jeden Song mitsingt. Der „Boss“ kennt sie inzwischen, sie hat ihn mehrfach backstage getroffen, es fällt auf, wenn sie einmal nicht da ist.

Aus ganz Deutschland sind sie gekommen, viele Hamburger natürlich, darunter Ina Müller und Johannes Oerding, denn die Show in Hannover ist die einzige im Norden. Aber das Flair vor dem Stadion und später im Pit direkt vor der Bühne ist international. Die „Tramps“ sind aus ganz Europa angereist, es wird Englisch, Italienisch, Spanisch gesprochen. Belgier treffen auf Dänen, Franzosen auf Engländer. Und ein paar Amerikaner haben sich den Weg über den Großen Teich geleistet.

Selbst in den größten Arenen kann Springsteen Intimität erzeugen

Als um kurz nach halb acht die E Street Band auf die Bühne geht und Springsteen mit einem Aufschrei der Begeisterung begrüßt wird, ist die Mühsal der vergangenen Tage und Stunden wie weggeblasen. 30 Songs wird er spielen, erst nach drei Stunden und 18 Minuten ist Schluss. Dass Band und Publikum nach dieser Ausdauerleistung wirken, als könnten sie mühelos noch ein paar Stunden drauflegen, sagt viel über die gewaltige Energie, die von einem Springsteen-Konzert ausgeht und mit der sich Musiker wie Fans aufladen.

Dabei ist das hier längst nicht nur eine fröhliche Party, auch wenn Bruce Springsteen schon zu Beginn des Konzerts voll aufdreht, zwei aus dem Publikum gereichte Bierbecher jeweils in einem Zug leert und sich auf der Gute-Laune-Überholspur zu befinden scheint. Später spielt er dann noch bei „Seven Nights To Rock“ mit Schläfe, Nase und Hintern Klavier oder lässt bei „Because The Night“ seinen Gitarristen Nils Lofgren von der Kette, der sich beim Gitarrensolo wie ein Irrwisch um die eigene Achse dreht, schneller und immer schneller. Klar, es stehen Kracher wie „Badlands“, „Dancing In The Dark“ und „Hungry Heart“ auf der Setlist, aber dies ist viel mehr als nur Hitshow; bisweilen hat es eher die Aura einen Gospel-Gottesdienstes.

Natürlich wird gefeiert, doch was Springsteen so einzigartig macht, ist die Fähigkeit, auch in größten Arenen maximale Intimität zu erzeugen. Mit seinen Songs Mut zuzusprechen, zu trösten, der Sehnsucht Worte und Melodie zu geben. Etwa wenn er in „Promised Land“ singt „Sometimes I feel so weak I just wanna explode“ (Manchmal fühle ich mich so schwach, dass ich explodieren möchte) oder wenn er in „Waiting On A Sunny Day“ verspricht „Don’t worry, we’ll gonna find a way“ (Mach dir keine Sorgen, wir finden einen Weg).

Wir sind alle eine Familie, wir halten zusammen, in guten wie in schlechten Zeiten, das ist seine Botschaft, die offensichtlich generationenübergreifend ankommt. Beim kleinen Jungen mit Lärmschutz-Kopfhörer, den er auf die Bühne holt, damit er den „Waiting...“-Refrain singt. Und bei den zahlreichen Ü50-Fans, die im Zugabenblock begeistert seine nach fast vier Jahrzehnten immer noch Gänsehaut erzeugende Aufbruchshymne „Born To Run“ anstimmen.

Auch die, die schon alles gesehen haben, die auf der Europa-Tour nicht ein Konzert besuchen, sondern ein Dutzend, empfinden keine Routine, sondern lassen sich von Springsteen und seiner überragenden 16-köpfigen Band mitreißen. Wieder einmal. Und sie freuen sich über all die ganz besonderen Momente, die der „Boss“ speziell ihnen schenkt. Über „Roll Of The Dice“ vom Album „Human Touch“, seit 384 Shows nicht gespielt. Oder über „Drift Away“, eine Coverversion des 73er Hits von Dobie Gray, von Springsteen in Laufe seiner langen Karriere bisher extrem selten live gesungen und zuvor noch nie in Europa.

Mehr als 43.000 Menschen sind zu diesem Auftritt in der AWD-Arena gekommen, aber als zum Schluss der Irish-Folk-Rocker „American Land“ erklingt, da ist aus all den Individuen ein großer Organismus geworden, dessen Herz in einem Takt schlägt. Im Takt der E Street Band.

Die besten Dinge könne man für Geld nicht kaufen, warb einst eine Kreditkartenfirma. Oh, doch, man kann. Manchmal jedenfalls. Zum Beispiel die Karte für ein Springsteen-Konzert.