Thomas Hengelbrock bringt in der neuen Saison des NDR Sinfonieorchesters Mahlers Erste nach Hause, fusioniert Frank Martin mit Bach und dirigiert Anna Netrebko

Hamburg. Mit der Entscheidung, ab der Saison 2011/12 Thomas Hengelbrock zum Chefdirigenten seines ehrwürdigen Sinfonieorchesters zu machen, bewies der NDR Mut und eine senderuntypische Risikofreude. Wie der zuständige Redakteur Achim Dobschall am Dienstag bei der Vorstellung des Saisonprogramms 2013/14 verkündete, wird dieser Mut vom Publikum seit Hengelbrocks Amtsantritt mit einer Auslastung der sogenannten Chefkonzerte von über 90 Prozent honoriert – eine Quote, die es beim NDR seit den Zeiten Günter Wands nicht mehr gab.

Der bemerkenswerte Zuspruch ist nicht nur mit dem hengelbrockschen Charisma zu erklären. Er verdankt sich einer spürbar gewachsenen Spielfreude und Flexibilität der Musiker sowie der geistigen Qualität der Konzertprogramme, auf deren Komposition Hengelbrock lange und gründlich herumdenkt. „Einem Programm gehen zehn Entwürfe voraus“, erzählt er. „Ich höre jedes Konzertprogramm innerlich durch. Was da nicht besteht, verwerfe ich.“

So stellt Hengelbrock einer Aufführung von Brahms „Deutschem Requiem“ Schostakowitschs Kammersinfonie c-Moll voran, die der russische Komponist als Requiem auf sich selbst verstanden wissen wollte (24./25.10.). Kühner noch erscheint die Verzahnung der sechs Sätze von Frank Martins Violinkonzert „Polyptique“ mit Kreuzweg-Kantaten von Bach. Doch Hengelbrock kennt Entstehungsgeschichte und gedankliche Hintergründe von Martins Werk quasi aus erster Hand und kann sein Montage-Konzept schlüssig erklären (20./23.4., mit Arabella Steinbacher, Violine). Die Pianistin Maria João Pires bereitet unter Hengelbrocks Dirigat mit Beethovens Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur dem „Titan“ das Entree, der „Erstaufführung der fünfsätzigen Hamburger Fassung der Sinfonie Nr. 1 D-Dur von Gustav Mahler nach der neuen kritischen Gesamtausgabe“ (9.5.). Der Abend eröffnet das Internationale Musikfest Hamburg, das nach den Worten Rolf Becks, Leiter der Klangkörper des NDR, von ihm selbst im Gespräch mit dem Generalintendanten der Elbphilharmonie Christoph Lieben-Seutter ersonnen wurde.

Ebenfalls zum Musikfest gibt Hengelbrock mit einer Sänger-Starbesetzung – Anna Netrebko, Charles Castronovo, Erwin Schrott, Jacques Imbrailo, Angela Brouwer – eine konzertante Fassung von Gounods „Faust“ (15.6.2014). Nur die drei letzten Mozart-Sinfonien aufs Programm zu setzen und nichts sonst – diese Idee hatten schon andere Orchester. Simon Rattle verwirklichte sie mit den Berliner Philharmonikern in Hamburg vor acht Jahren, Simon Gaudenz gestaltete damit seinen Antritt bei der Hamburger Camerata im vergangenen Herbst.

Zu den Gastdirigenten zählen Veteranen wie Semyon Bychkov, Michael Gielen, Herbert Blomstedt und Christoph Eschenbach, mit Juraj Valcuha und Matthias Pintscher stehen indes auch Dirigenten-Debüts an. Pintscher dirigiert u. a die europäische Erstaufführung eines Konzerts für den NDR-Solotrompeter Jeroen Berwaerts von Toshio Hosokawa. Gastsolisten sind auch die Geiger Frank Peter Zimmermann und Isabelle Faust, die Pianisten Hélène Grimaud, Jean-Yves Thibaudet, Piotr Anderszewski und die Cellisten Julian Steckel, Adrian Brendel und Christopher Franzius.