Im echtzeit-Studio, einer der kleinsten Bühnen Hamburgs, hat “Sandkasten“ Premiere. Die Gäste erwartet bei der Aufführung eine Neuerung.

Hamburg. Auf der Alsterdorfer Straße, unweit des Winterhuder Marktplatzes, herrscht alltags fast immer ein geschäftiges Leben. Die meisten Menschen hasten auf den Fußwegen vorbei, und Autofahrer hupen, wenn wieder mal ein Gelenkbus der Linie 109 nur langsam oder gar nicht vorankommt. Dabei liegt an der Straße, neben einer Vollkornbäckerei und gegenüber einer HSV- und St.-Pauli-Kneipe, ein kulturelles Kleinod: das echtzeit-Studio.

Wenn die Jalousien die beiden großen Fenster verhüllen, ist das von außen nicht zu erahnen. Im Hauptraum der ehemaligen Ladenwohnung mit Kristallleuchter proben Silke Roca und Peter G. Dirmeier, sie in ihrer Rolle als Milka in greller pinkfarbener Trainingsjacke und ebensolchen Strümpfen, er als Tomek in einer schreiend gelben Jacke und schwarzer Hose. Sie hocken vor einem Sandkasten. Der gibt der Aufführung den Namen. „Sandkasten“, eine Groteske des polnischen Gegenwartsdramatikers Michal Walczak, ist indes nicht das erste Stück, das die beiden Schauspieler zusammen zeigen.

Sie kennen sich schon seit Ende der 90er-Jahre vom „Bochumer Jedermann“ und haben einige Jahre am Theater der Stadt Duisburg zusammengespielt. „Seitdem sind wir fast schon auf Zwei-Personen-Stücke abonniert“, erzählt Silke Roca lächelnd. Ihre Ausbildung hatte die gebürtige Marburgerin einst bei Margot Höpfner in Harvestehude absolviert. Mit dem gebürtigen Regensburger Dirmeier, der 2005 aus Köln nach Hamburg zog, gründete sie das echtzeit entertainment. Sie spielten Dario Fos „Offene Zweierbeziehung“, brachten Roland Wintersteins „Von beteuerten Gefühlen und anderer Kälte“ und Jerry Mayers „Zwei waagerecht“ zur Uraufführung und zur europäischen Erstaufführung. Für das letztgenannte Stück probten sie mit dem legendären Boulevard-Altmeister Wolfgang Spier, der 2006 noch parallel in der Komödie Winterhuder Fährhaus engagiert war, sogar in den kühlen Räumen im Haus der Jugend am Lattenkamp.

Eine eigene Spielstätte fanden Roca und Dirmeier erst mit dem echtzeit-Studio ein Jahr später. Seit Anfang 2008 ist die 90 Quadratmeter große Fläche mit drei Räumen ein Ort für kulturelle Veranstaltungen. „Das musste sich hier im Stadtteil erst mal herumsprechen. Jetzt sind die Leute neugierig genug, mal hereinzuschauen“, sagt Dirmeier.

„Einen schönen kleinen Kiez habt ihr hier“, lobte der Charakterschauspieler Wichart von Roell, in den 70er-Jahren als „Klimbim“-Opa bekannt geworden, als er im April mit einer Tschechow-Lesung im echtzeit-Studio Premiere hatte. Da wurde es schon bei 30 Zuhörern kuschelig. Platz für mehr als 45 Sitze bietet der Raum ohnehin nicht. Damit ist das echtzeit-Studio, das am 7.September zum fünften Mal ein Ort der Hamburger Theaternacht sein wird, die kleinste Bühne Hamburgs, die seit Jahren ohne Subventionen auskommt.

Die Idee, von der Kulturbehörde Projektmittelförderung oder andere Unterstützung zu beantragen, haben die Schauspieler nie ernsthaft verfolgt. „Als wir gesehen haben, wie viele Anträge wir etwa im November hätten ausfüllen müssen, um im Sommer dann eventuell Geld zu bekommen für ein Stück, das wir dann ein Jahr später hätten spielen sollen, haben wir es gelassen“, sagt Dirmeier. Betreiben hier also wieder mal zwei Idealisten ein Stück Selbstausbeutung? Sie versuchen dem vorzubeugen. Dirmeier, der von 2000 bis 2003 im ZDF die Kinder-Spielshow „Tabaluga TV“ präsentiert hat, ist weiterhin als Moderator (u.a. beim Filmfest Hamburg) und als Hörbuchsprecher tätig. Er und Silke Roca touren. Als examinierte Sonderpädagogin hat sie mit Leseförderungsprojekten für Schulen in Duisburg ein weiteres Standbein. Das echtzeit-Studio aber, das lassen einen beide spüren, gibt ihnen künstlerische Freiheit. „Es ist noch ein Kind, das ernährt werden muss“, sagt Silke Roca.

Passend dazu backt sie, wann immer es ihre Zeit erlaubt, Kuchen und Quiche. Außer Bühne und gelegentlich Galerie ist das echtzeit-Studio an fünf Tagen pro Woche auch Café. Eine kleine Bar — eine Art Getränkeklappe — oberhalb des Zuschauerraums, ist das kuriose Merkmal dessen.

Und doch erwartet die Gäste mit der Premiere an diesem Freitag eine Neuerung. „Wir spielen zum ersten Mal nicht auf der Bühne, sondern im Zuschauerraum“, erläutert Dirmeier. Von dort aus hätten die Besucher auf der gut einen halben Meter hohen Bühne nur gegen den Sandkasten geguckt. Stattdessen sitzen sie nun auf der Bühne, die von einer breitem Türrahmen umfasst wird, und unten bis an die Spielfläche. Ein hautnahes Theatererlebnis.

„Sandkasten“, jew. 20.00, echtzeit-Studio (Bus 20, 25, 109, 118), Alsterdorfer Str. 15, Karten zu 14,-/erm. 10,- unter T. 24863972; www.echtzeit-entertainment.de

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