Im Alter von 78 Jahren ist Sarah Kirsch gestorben. Die Kritikerin der DDR ging 1977 in den Westen

Hamburg. „Zaubersprüche“ heißt ihr wohl wichtigster Gedichtband, und Sarah Kirschs Umgang mit Sprache hatte in der Tat etwas Magisches. Wie erst Mittwoch bekannt wurde, ist die Lyrikerin bereits am 5. Mai im holsteinischen Heide 78-jährig einer schweren Krankheit erlegen. Geboren wurde sie 1935 in der Nähe von Nordhausen, aber obwohl sie in der DDR aufwuchs, auch dort zu frühem literarischen Ruhm gelangte, war sie keine ostdeutsche, sondern eine große deutsche Dichterin.

Schon während ihres Biologiestudiums schrieb sie lyrische Texte, die in Literaturzeitschriften und Anthologien veröffentlicht wurden. Gemeinsam mit ihrem ersten Mann, dem Lyriker Rainer Kirsch, studierte sie am Leipziger Literaturinstitut Johannes R. Becher, der Kaderschmiede des DDR-Schriftstellerverbands. Anschließend lebte sie als freie Autorin in Halle, veröffentlichte 1967 ihren ersten Gedichtband mit dem Titel „Landaufenthalt“ und erhielt Auszeichnungen wie die von der FDJ verliehene Erich-Weinert-Medaille.

Aber für platte Agitation war die Lyrikerin zu intellektuell, zu eigenwillig. 1968 ließ sie sich scheiden und ging nach Ost-Berlin, wo sie ihr Geld als freie Rundfunkmitarbeiterin und Übersetzerin verdiente. Der 1973 veröffentliche Gedichtband „Zaubersprüche“ verschaffte ihr in Ost- und Westdeutschland gleichermaßen Anerkennung. Als sich die kulturpolitische Situation Mitte der 1970er-Jahre verschärfte, gehörte Sarah Kirsch zu den ersten DDR-Intellektuellen, die sich von der Hoffnung auf einen reformierbaren Sozialismus verabschiedeten. Nachdem die SED den systemkritischen Liedermacher Wolf Biermann 1976 ausbürgerte, gehörte Sarah Kirsch selbstverständlich zu den ersten Unterzeichnern jener Protestresolution, die die Grundfesten der ostdeutschen Kulturpolitik erschütterte.

Aber anders als zum Beispiel Christa Wolf betrachtete Sarah Kirsch die DDR damals schon nicht mehr als ihr Land. Nachdem sie aus der SED und dem Vorstand des Schriftstellerverbands ausgeschlossen wurde, siedelte sie 1977 nach West-Berlin über. Doch auf Dauer fühlte sie sich in der Großstadt nicht wohl, so wechselte sie nach Schleswig-Holstein. Die Weite der Landschaft und die Nähe zur Natur waren der Dichterin wichtig, die als Persönlichkeit eher spröde wirkte.

Obwohl sich Sarah Kirsch nie in die Öffentlichkeit gedrängt hat, wurde ihr Werk wahrgenommen und geschätzt. Marcel Reich-Ranicki pries die erotische Qualität ihrer Lyrik und bezeichnete sie als „Drostes jüngere Schwester“. Sarah Kirsch erhielt zahlreiche Ehrungen, die bedeutendste war 1996 die Verleihung des Georg-Büchner-Preises.