Zwischen stillgelegten Gleisen am Oberhafen feiert Isabelle Schads Tanzperformance „Hinter den Gärten“ Premiere. Zuschauer können sich frei auf dem Gelände bewegen und in bestimmten Grenzen „mitgehen“.

Hamburg. Alles ist mit allem verbunden, jede Bewegung wirkt sich auf das Ganze aus: Gleich einzelnen Teilchen wabernden Plasmas bewegen sich die Männer und Frauen miteinander wie in einem großen Strom. Dann wieder halten sie jeder den Fuß eines anderen fest: Die Gemeinschaft, die die Choreografin Isabelle Schad hier auf einer Brache zwischen stillgelegten Bahngleisen im Oberhafen herstellt, hat sich zusammengefunden, um eine poetische urbane Intervention mit Leben zu füllen: „Hinter den Gärten“ heißt die Bewegungsperformance, die an diesem Mittwoch, 22. Mai, hier Premiere hat. Die Zuschauer können sich frei auf dem Gelände bewegen und in bestimmten Grenzen „mitgehen“. Bei Regen wird eine Überdachung errichtet.

Wie immer, wenn die Tanzinitiative Hamburg Projekte ersinnt, hat man es nicht mit einer üblichen Theateraufführung zu tun, sondern mit der Idee von Tanz als sozialer Teilhabe. „Hinter den Gärten“ befasst sich mit dem Verschwinden unverplanter, undefinierter Räume in der Stadt durch Verdichtung und kommerzielle Nutzung. Der öffentliche Ort, hier am Ende einer Reihe von Lagerschuppen hinter der Oberhafen-Kantine, sei genau der richtige, sagen Barbara Schmidt-Rohr und Irmela Kästner von der Tanzinitiative. „Wir haben ihn nach dem Thema ausgesucht, und dieses Areal hier ist derzeit ein zwischen Kunst und Kreativwirtschaft heiß umkämpftes Gebiet.“

Der Landschaftsarchitekt Ando Thomas Yoo hat die alten, moosbewachsenen Betonplatten mit ausgeschnittenen Rollrasenstreifen belegt und rund um einen Baum einen kleinen Grashügel gebaut. Zwischen den Ritzen des aufgesprungenen Betons drängen sich Johanniskraut und Schafgarbe. Isabelle Schad und er wollten eine hybride Umgebung schaffen, eine künstliche Gartenlandschaft mit mobilen Blumentöpfen. Was ist künstlich, was natürlich? Was stört die Harmonie der Körper, was nicht? Und woraus entsteht Widerstand? Um solche Fragen kreist die Arbeit von Isabelle Schad, die sich der Philosophie des Body-Mind-Centerings verbunden fühlt, das die Weisheit und Intelligenz des Körpers in Bewegung aufspürt und der natürlichen Wechselwirkung zwischen Individuum und Gemeinschaft. Die Gruppe besteht aus 30 Männern und Frauen, Laien sowie Profi-Tänzern zwischen 20 und 70 Jahren.

Dazu hat der Belgier Gael Cleinow aus den vielfältigen Geräuschen vor Ort eine komplexe Soundcollage gebastelt, „um Bewusstsein zu wecken“: Aufbrausende Böen, Vogelgezwitscher, quietschende Zugfahrten über die Gleise, Schritte, Klopfen. Von innen nach außen entwickelt Isabelle Schad die Form der Bewegungen, aus drei Körpern baut sie einen einzigen: „Ich studiere die Faltungsgesetze bis hin zur Entwicklung eines Embryos. Es geht darum, die Zellen zu spüren und in Dialog mit dem molekularen Aufbau des Körpers zu treten. Daraus kann für die Zuschauer eine sinnliche Wahrnehmungsreise wachsen.“ Die Besucher würden vielleicht „von innen mehr spüren“, wenn sie offen seien, denn ihre Arbeit habe „eine Intensität, die man sonst nicht erlebt. Die Körper lassen ihre Verpackung fallen, ihren Repräsentationshabitus, sodass etwas Pures in Erscheinung tritt“.

Eine Utopie will Isabelle Schad hier formulieren, denn „wir sind ja normalerweise in der hierarchischen kapitalistischen Gesellschaft unterwegs.“ Jeder, der sich öffne, könne so etwas wie ein fernes Erinnern erleben, sagt die Bewegungsforscherin. Dann „stellt sich etwas Zeitauflösendes her“. Ihre Arbeit beschreibt Schad als „das Gegenteil von Provozieren. Es geht um ein existenzielles Verstehen. Um das Verhältnis des Natürlichen zum Kulturellen, und diese Dinge liegen viel näher beisammen, als man glaubt.“

„Hinter den Gärten“ Vom 22. bis 25. Mai, jeweils 20 Uhr, Treffpunkt Oberhafen-Kantine, Stockmeyerstraße 39. Karten zu 8 und 12 Euro nur an der Abendkasse