Michael Maertens brilliert mit Molières „Menschenfeind“ beim Gastspiel im Thalia

Hamburg. Ein Mensch, der einem starren Prinzip folgt, der sich nicht anpassen und geschmeidig auf Situationen, also aufs Leben, reagieren kann, der muss komisch sein. Weil er nicht wie ein Mensch wirkt, sondern wie eine Marionette. So ein Typ ist Molières „Menschenfeind“, ein Kerl, der 1666 erfunden wurde, als ein Rechthaber, ewig Nörgelnder, Aufrechter, der sich gegen die ständig heuchelnde, kriecherische Gesellschaft absetzen will und der natürlich ebenso tragisch wie komisch ist.

Barbara Frey hat „Der Menschenfeind“ im Januar im Schauspiel Zürich inszeniert und ihn ganz selbstverständlich modern gemacht. Die Aufführung mit Michael Maertens in der Titelrolle kam nun als Gastspiel ans Thalia Theater. Und sie ist wie für Maertens geschaffen, der ja quasi auch ein Thalia-Schauspieler ist – Großvater Willi war hier Intendant, Vater Peter gehört seit mehr als 50 Jahren zum Ensemble, Michael debütierte hier.

Maertens ist in allem Tragischen auch ein Komiker. „Keinen lass ich aus. Ich hasse alle“, so erklärt er seinen Weltekel, sein Besserwissertum, seine Kompromisslosigkeit. Er rast gegen alle, jault schmerzverwundet auf, wenn er Falschheiten entdeckt und genießt doch auch seine schreienden Explosionen. Weil er ein Egomane ist. Alceste, der Menschenfeind, liebt, leidet und macht sich lächerlich. Er ist verrückt auf Wahrheitssuche und verrückt vor Liebe nach Celimène. Die Welt ist aus den Fugen. Und das ist komisch.

„Für Sie ist Liebe Zank und Streit, für mich ist Liebe Zärtlichkeit“, erklärt die von ihm angebetete Celimène in der witzigen deutschen Versfassung. Yvon Jansen spielt die von allen Männern Begehrte als moderne Frau, die sich umschwärmen lässt. Vom plumpen Clitandre (Christian Baumbach), der mit dem spillerigen Komiker Acaste (Siggi Schwientek) ein herrliches Duo bildet oder vom lähmend reimenden Oronte (Matthias Bundschuh), den Alceste beleidigt. Ihre Konkurrentin Arsinoé spielt Gottfried Breitfuss im Chanel-Kostüm Weißwein süffelnd so herzzerreißend weiblich, wie es bisher nur Jack Lemmon als Daphne in „Manche mögen’s heiß“ gelang. Hier allerdings um ein paar Grimassen bereichert. Am Klavier des als Brasserie ausgestatteten Raumes begleitet Iñigo Giner Miranda mit Debussy und Chopin, bedient die Gäste mit Cognac, den er selbst trinkt und schwallt sie voll mit spanischen Wortkaskaden. Höchst merkwürdig, dieses Café der einsamen Herzen. Es könnte von Marthaler stammen.

Am Ende, wenn sich – anders als im Stück – nicht alles liebt, das sich neckt, rennt der aufgebrachte Alceste davon. Sein Wahrheitswahn hat ihn einsam gemacht und um seine Liebe gebracht. „Wir Menschen gelten als vernünftige Wesen, wer das behauptet, der ist nie ein Mensch gewesen“, hieß es zuvor. Ach, wie gut, dass nicht alles immer nur vernünftig ist. Manchmal ist man schon gerne Mensch, wenn man einen schönen Theaterabend erlebt.