Weil auch der Buchmarkt nach Aufregung giert: Dan Browns neuer Thriller „Inferno“

Dan Brown ist ein Name, den jeder Buchhändler gerne hört, denn er lässt die Kassen klingeln. Seine Bücher sind Selbstläufer – oder wie soll man das sonst nennen, wenn sich jeder Titel millionenfach verkauft? „Sakrileg“, das im Original und im Kino „The Da Vinci Code“ hieß, ging als Hardcover mehr als 80 Millionen Mal weg.

Deswegen ist ein neuer Thriller aus dem Hause Brown immer gleichbedeutend mit großen Zahltagen im Buchhandel. Seit Dienstag ist der neue Brown-Schmöker „Inferno“ zu haben, die Erstauflage beträgt allein auf Deutsch 700.000 Exemplare.

Das macht Brown zum Superstar der Literatur – wenn es solche denn gibt. Das neue Abenteuer des Kunsthistorikers Robert Langdon erscheint in elf Sprachen gleichzeitig, und nach draußen dringen durfte vor der Verkaufspremiere so wenig wie möglich. Informationsverknappung ist immer eine Möglichkeit, Interesse zu erzeugen, das machen die Glamour-Disziplinen Popmusik und Kino schon lange vor. Dass in Italien zuletzt die Übersetzer jeden Tag in einem Arbeitsbunker eingepfercht wurden, um in einer Maximalabkapselung „Inferno“ zu übersetzen, ist jedenfalls ein genialer Schachzug: Das klingt ja fast schon nach einer literarischen Verschwörung. Wer weiß, was in der polyglotten „Inferno“-Klause wirklich passiert ist? Haben sich die Übersetzer am Ende noch über die ausufernde Fantasie von Meister Brown lustig gemacht? Der mag Verschwörungen ja auch ganz gerne.

Man kann das Bohei um „Inferno“ sicher auch albern finden, die Vorfreude von Hamburgs Buchverkäufern trübt das forcierte Marketing ganz sicher nicht. Im Gegenteil, der neue Brown kommt rechtzeitig und saisonal berechnet zur Sommerzeit: kein Strand, an dem der Reißer nicht auf irgendwelchen Badetüchern liegen wird. Ein neuer Dan Brown ist immer gut für die Bilanzen, mag sich auch mancher Leser denken: Ich lese ja sonst nix.

In den Heymann-Buchhandlungen liegt „Inferno“ an prominenter Stelle aus. „Der Verkauf ist sehr positiv und bestätigt unsere Erwartungen“, sagt Harald Butz von Heymann ziemlich nüchtern. Und weiß doch, dass Kunden, die speziell wegen „Inferno“ in die Buchhandlung kommen, im Stöber-Modus sind und auch noch andere, unbekannte Autoren entdecken. Bei „Inferno“ weiß jeder, was er bekommt: einen umstandslos erzählten Thriller, in dem es um ein gewaltiges Geheimnis, gefährliche Machenschaften und jahrhundertealte Motive vor historischer Kulisse geht. Die Handlung spielt in Langdons viertem Fall beinah ausschließlich in Florenz, wo er heftig ramponiert aufwacht: Auf ihn ist geschossen worden. Der umfassend gebildete Mann, dessen Tun die spannende Berufsbezeichnung „Symbolforscher“ beschreibt, ist vollkommen desorientiert.

Er entdeckt aber bald, dass sein Schicksal fortan irgendwie mit dem italienischen National-Epos, mit Dantes „Göttlicher Komödie“ verknüpft ist. Die Thrill-Fachkraft Brown lässt Langdon diesmal unter doppelt schwierigen Voraussetzungen nach den Verschwörern jagen: Er hechelt ja auch sich selbst hinterher, während er selbst im Fokus der Verfolger ist, sie stammen aus hochoffiziellen Kreisen. Das ist formal ganz reizvoll, denn Langdon, an dessen Seite sich eine undurchschaubare Ärztin gesellt, weiß eigentlich nie, wie ihm geschieht. Erst langsam setzt sich das Bild der Gefahr zusammen, das der Menschheit droht.

Langdon sammelt die Schnipsel ein, spielt zum Beispiel im Prachtpalast Palazzo Vecchio Räuber und Gendarm mit seinen Gegenspielern. Als Hermeneutiker und Textexeget ist er natürlich klar im Vorteil, wenn er sich mit den Renaissance-Größen Dante und Vasari beschäftigen muss, um einem genialen Biochemiker auf die Spur zu kommen, der eine ganz eigene Vorstellung von Geburtenkontrolle hat. Bertrand Zobrist will die Menschheit retten, indem er das Problem der Überbevölkerung löst – so wie das im Mittelalter schon einmal die Pest tat.

Es gibt einige durchaus überraschende Wendungen in „Inferno“, diesem schnell konsumierbaren und technisch gut gemachten Spannungsroman, in dem auch hier und da kulturelles Wissen vermittelt wird. Im Grunde ist Brown ein tapferer Autor, der mit seinen Geschichten gegen die grassierende Banalität zu Felde zieht: Realismus wird überbewertet! Ist doch aufregend, wenn in einem Museum oder einem Buch, die die Vergangenheit konservieren, der Schlüssel zur Rettung der Menschheit versteckt ist. In „Inferno“ folgt auf die Logik des Handlungsfortgangs verlässlich der seltsame Zufall. Es ist eben doch alles ein Rätsel.

Dan Brown: „Inferno“. Übers. v. Axel Merz und Rainer Schumacher. Lübbe. 688 S., 26 €