Über schlechten Geschmack lässt sich streiten. Das Museum für Kunst und Gewerbe lädt dazu ein. Die erstaunlichen Exponate beweisen: Schlechter Geschmack ist an keine Zeiten gebunden.

Hamburg. Was kann der Hirsch dafür, dass er röhrt? Wenn er das nicht artgerecht im Wald und auf der Heiden tut, sondern zum Beispiel auf einem Ölgemälde, ist das böse. Denn was in geschmacklicher Hinsicht schlecht ist, gilt hierzulande nicht nur als hässlich, sondern auch als böse. Folgerichtig hat das Museum für Kunst und Gewerbe seine aktuelle, vom „Werkbundarchiv – Museum der Dinge Berlin“ verantwortete Ausstellung zur „Enzyklopädie des Ungeschmacks“ auch „Böse Dinge“ genannt.

Dass schlechter Geschmack an keine Zeiten gebunden ist und alle Grenzen überschreitet, lässt sich in der Ausstellung anhand zahlreicher oft erstaunlicher Exponate besichtigen. Da gibt es einen weiblichen Unterleib als Aschenbecher, einen Bierkrug in Form eines Rettichs mit den Gesichtszügen von Bismarck, eine Heilwasserflasche in Gestalt einer Madonna, eine gläserne Kalaschnikow, die als Schnapsflasche dient, oder ein nachempfundenes Fabergé-Ei, auf dem uns Papst Johannes Paul II. entgegenlächelt.

Nach 1945 war die Erziehung zum guten Geschmack angesagt

Wir lächeln zurück und fragen uns, was schlechter Geschmack ist. Darauf antwortet die Ausstellung mit einem Rückgriff auf den Kunsthistoriker und Sammler Gustav Edmund Pazaurek, der 1909 im Stuttgarter Landesmuseum eine eigene „Abteilung der Geschmacksverirrung“ aufgebaut hat. Selbstredend hatte der Gelehrte seine ästhetische Gruselkammer streng in Kriterien unterteilt, zu denen etwa Material-, Konstruktions- und Dekorfehler mit zahlreichen Unterkategorien gehörten. Etwa 60 Objekte aus dieser Sammlung sind in der Ausstellung aktuellen Designobjekten gegenübergestellt. Für Pazaurek, der 1912 das Werk „Guter und schlechter Geschmack im Kunstgewerbe“ veröffentlichte, stand fest, dass alltägliche Dinge den Menschen im Guten wie im Schlechten beeinflussen und verändern können.

Damit stand er nicht allein, so sah etwa der österreichische Schriftsteller Hermann Broch den Nationalsozialismus auch als Ausdruck schlechten Geschmacks und bezeichnete Adolf Hitler als den Prototypen des Kitschmenschen. Als es in der Nachkriegszeit darum ging, eine demokratische Gesellschaft aufzubauen, bemühten sich Institutionen wie der Deutsche Werkbund, die „guten Form“ zu propagieren, die nicht nur unter ästhetischen, sondern auch unter moralischen Gesichtspunkten betrachtet wurde. Dafür veranstaltete man Wettbewerbe, publizierte Bücher, zeigte Ausstellungen und brachte sogar die „Werkbundkisten“ unters Volk, damit auch wirklich jeder wissen konnte, wie er sich beim Kauf von Alltagsgegenständen geschmacklich zu orientieren hatte. Das alles wirkt aus heutiger Sicht allzu erzieherisch. Bei der Betrachtung der Exponate fällt zudem auf, dass die Zuordnung zu den jeweiligen Kategorien durchaus willkürlich sein kann. Und wenn man die Gustav-Edmund-Pazaureks-Kriterien streng anlegt, dürfte auch beim Blick in die Kunstgeschichte manches Werk als geschmacklos „entlarvt“ werden, das im kunsthandwerklichen Kontext hoch geschätzt wird, wie die Mitte des 18. Jahrhunderts von Johann Joachim Kändler aus Meißner Porzellan gefertigte „Affenkapelle“.

Nicht immer sind freilich die Grenzen zwischen Kunst oder Kitsch so fließend. Kitsch kann ironisiert und damit zum künstlerischen Ausdruck werden, außerdem haben sich im Zeitalter des Stilpluralismus die Kriterien verschoben. Ging es früher nur um die Ästhetik der Form, werden heute das gesamte Produkt, dessen Entstehungsbedingungen und dessen Image betrachtet.

Wer durch die Ausstellung flaniert, stellt zudem verwundert fest, dass gerade die „bösen Dinge“ oft gute Laune machen. „Das liegt daran, dass uns solche bösen Dinge oft ganz unmittelbar emotional berühren, wir sie aber leicht durchschauen können“, erklärt Projektleiterin Claudia Band, die sich bewusst für einen spielerischen Umgang mit dem Ungeschmack entschieden hat.

Deshalb gibt es in der Ausstellung auch eine Tauschbörse, bei der man einen eigenen Kitsch-Artikel gegen ein dort ebenfalls abgegebenes Stück einwechseln kann, das man vielleicht gar nicht kitschig, sondern einfach nur schön findet. Ein paar Kriterien gilt es aber auch hier zu beachten: Getauscht werden darf nur, was höchstens 30 x 30 x 30 cm groß und irgendwie schräg ist, aber nicht lebt, keinen Krach oder Schmutz macht, nicht leuchtet, nicht schlecht werden kann und sich außerdem nicht zum Anziehen eignet.

Böse Dinge. Eine Enzyklopädie des Ungeschmacks. Museum für Kunst u. Gewerbe. ab 16.5 bis zum 15.9