Eine Ausstellung in der Stabi zeigt kreative Geister, deren Bücher verbrannt wurden

Hamburg. Rolf Tietgens hatte viel Talent. Leni Riefenstahl, Propaganda-Fotografin von Adolf Hitler, hatte ihn 1936 als Kamera-Assistenten für ihren „Olympia“-Film gewonnen. Sie wusste, wer gut war. Tietgens hervorragendes Hamburg-Buch „Der Hafen“ erschien 1938. Da war der Homosexuelle zu seinem Glück schon nach New York ausgewandert, wo er eine beachtliche Karriere als Fotograf begann. In Deutschland verfolgten die Nazis nicht nur Juden, sondern auch Homosexuelle, Kommunisten, Sozialisten und Pazifisten. Tietgens war seinem Schicksal entronnen.

Eine sehr schön inszenierte Ausstellung im Lichthof der Staats- und Universitätsbibliothek erinnert jetzt nicht nur an Rolf Tietgens, sondern an weitere 17 Autoren, Literaturwissenschaftler, Lyriker, Journalisten, Rabbiner, Verleger, Anwälte und Illustratoren, deren Bücher im Mai 1933 in Hamburg verbrannt wurden. Dem Kurator der Ausstellung, Wilfried Weinke, ist das Kunststück gelungen, keine reine Dokumentation abzuliefern, die ausschließlich betroffen macht, sondern eine sehr lebendig inszenierte Schau. Vor der „Bühne“ mit einem breit aufgezogenen Originalfoto von der damaligen Bücherverbrennung stehen nicht nur, erstmals im Bild zu sehen, die Rückensilhouetten der damaligen Zuschauer, die sich nun nicht mehr wegducken können. Sondern es erheben sich lauter begehbare Bücher mit den 18 Biografien. Historiker Weinke hat in mehr als vier Jahren Vorbereitungszeit Fotos und Dokumente von Angehörigen der ermordeten oder verbannten Autoren beschafft. Dem „Verniemandungsprozess“ hat er damit ein Ende gesetzt. Als Eingang wurde für die Dauer der Ausstellung bis zum 28. Juni der Eingang Edmund-Siemers-Allee/Ecke Grindelallee geöffnet.

Es ging damals nicht nur darum, Papier zu verbrennen, sondern es wurde Geist vernichtet und reale Existenzen. Grete Berges zum Beispiel veröffentlichte 1932 ihr in Eppendorf spielendes Jugendbuch „Lieselott diktiert den Frieden“. Als verfolgte Jüdin floh sie nach Dänemark, dann half ihr Selma Lagerlöf, nach Schweden zu kommen. Ihr Bruder Max Ludwig, der mit seiner Frau Anna von Hamburg über Russland und Sibirien nach Shanghai floh, um dann 1938 in die USA zu emigrieren, verarbeitete sein Flucht-Trauma 1939 in dem packenden Roman „Cold Pogrom“.

Kurt Enoch war dagegen in Hamburg Verleger gewesen, der ein anspruchsvolles Programm herausgab. 1936 emigrierte er nach Frankreich, 1940 in die USA, wo ihm ein erstaunlicher Neustart gelang. Als er 1982 starb, nannte ihn die „New York Times“ einen Pionier des Taschenbuchs. Auch ein Rechts- und Staatswissenschaftler taucht in der Ausstellung auf: Bernhard Karlsberg, der das Wilhelm-Gymnasium besucht hatte. Mutig setzte er sich für die Verteidigung politischer Gefangener ein, tauchte mit seinen drei Kindern in den Niederlanden unter und überlebte. Die Universität Hamburg rehabilitierte Karlsberg erst 1991.

Auch an den Lebenskünstler, Autor und Illustrator Hans A. Reyersbach erinnert die Schau. Unter dem griffigen Namen H.A. Rey machte er nach der Flucht in Frankreich und den USA Karriere. Sein Buch „Curious George“ erschien 1941 und trat einen bis heute anhaltenden, internationalen Siegeszug an. Viele Bücher der in der Ausstellung vorgestellten Autoren kann man sich in der Staatsbibliothek ausleihen. Was für ein Glück.

Lesung: Heute findet von 11 bis 18 Uhr am Kaiser-Friedrich-Ufer/Ecke Heymannstraße eine Marathon-Lesung aus den verbrannten Büchern statt.

Vorträge in der Uni-Bibliothek: 7. Juni über Grete Berges. 14. Juni über Rolf Tietgens. 21. Juni über den Schriftsteller Cheskel Zwi Kloetzel. Alle Vorträge um 19 Uhr im Vortragssaal.