„Gespenster“-Gastspiel beim Körber Studio Junge Regie

Hamburg. Das Hausmädchen Regine wirbelt mit dem Besen kehrend zu Beginn von Henrik Ibsens „Gespenster“ im Thalia Theater Staubwolken im Salon der Frau Alving auf. Doch alles andere als verstaubt zeigt David Bösch das Familiendrama um falsche Moral, Lügen und Wahrheitssuche in seiner Inszenierung für das Wiener Burgtheater. Das Gastspiel war Abschluss und schauspielerisches Highlight im Jubiläumsprogramm des Körber Studios Junge Regie. Der 35 Jahre alte Opern- und Schauspielregisseur war der erste Preisträger der Nachwuchs-Plattform vor zehn Jahren.

Wer 2003 seine Aufführung von Jessica Goldbergs „Fluchtpunkt“ gesehen hatte, den erinnerte Patrick Bannwarts Sitzmöbelarrangement mit Lampen dazwischen an damals. Freilich ist es nun großzügiger angelegt unter dem Edvard Munch zitierenden Monsterporträt des Kammerherrn Alving, der mit seiner „Lebenslust“ die Familie ruinierte und in Böschs heutiger Lesart den Sohn mit Aids infizierte. Auf seine Weise gelingt es dem Regisseur also, die Möglichkeiten des Staatstheatersystems zu nutzen, sich damit weiterzuentwickeln, aber sich doch auch ein Stück treu zu bleiben.

In seiner unkonventionellen Ibsen-Inszenierung im Stil eines düsteren, schwarz-weißen Horrorfilms sind alle diese Unglücksfiguren (mit Ausnahme des Moralpredigers) den Drogen Alkohol und Tabak verfallen. Im halluzinativen Charakter der Aufführung mit den Burgtheater-Stars Kirsten Dene (Helene Alving) und Martin Schwab (Pastor Manders) könnte man auf einer anderen Ebene in der Konfrontation der großen alten Schauspieler mit den jungen Liliane Amuat (Regine) und Markus Meyer (Osvald) eine Art „Austreibung“ der „Gespenster“ des „altmodischen Theaters“ entdecken.

Zelebriert Kirsten Dene mit subtilen Zwischentönen ihrer Sprechkunst und beredt kunstvoller Gestik der Hände tragödinnenhaft die Gewissensnöte einer von Schuld gepeinigten Mutter und ihr harsches Aufbegehren gegen den sich in Selbstgewissheit aufplusternden Sittenwächter Manders, so übersetzen die Jungen ihre Charaktere performativ in ein erotisch freies, entfesselt wildes Körperspiel. Beispiele für Letzteres gab es auch in der sechstägigen Werkschau des Körber Studios reichlich zu sehen – allerdings nicht immer im gebändigten und plausiblen Rahmen wie in der Ibsen-Inszenierung.

In der Werkschau ging es zuweilen recht chaotisch und munter drunter und drüber in den Performances, doch immer sprühten sie vor Energie und Spielfreude. Etwa bei „fucKING richard III“ des Kollektivs der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg aus Ludwigsburg. Shakespeares Königsdrama diente lediglich als Aufhänger für einen glitzernden und turbulenten Mummenschanz. Frederik Tidén von der Zürcher Hochschule der Künste zeigte Eugene O’Neills „Trauer muss Elektra tragen“ als Kreischorgie und Sitcom. Und Simina German fixierte „Phaidras Liebe“ in ihrer Fassung nach Seneca und Sarah Kane recht eindimensional auf Sexspielchen.

Die Entscheidung der Jury für die Inszenierung „Der souveräne Mensch. Warum Juwelen glänzen und Kieselsteine grau sind“ vom Institut für Angewandte Theaterwissenschaft Gießen verwundert deshalb nicht: Dem Regie-Trio sei das Kunststück gelungen, „einen theoretischen Essay über Souveränität so auf die Bühne zu bringen, dass er die Herstellung, die Aufrechterhaltung und das Zerbrechen von Souveränität gleichzeitig reflektiert und präsentiert“, heißt es in ihrer Begründung. Sie ermunterte die Nachwuchsregisseure aber auch, sich literarischer Stückinterpretation zu stellen. Denn die freien Projektarbeiten und Regie-Kollektive dominierten im Programm.

Was andererseits als Fortschritt – wenn auch mit reichlicher Verspätung – zu werten ist. Hatte beim ersten Körber Studio die Performance „No More Theatre“ – übrigens auch aus Gießen – noch Ablehnung und harsche Kritik provoziert, scheinen in der Zwischenzeit die genreübergreifenden Arbeitsweisen und Formen der Performing Arts auch an den staatlichen Kunstschulen, im Körber Studio – und nicht zuletzt – am Wiener Burgtheater angekommen zu sein.

Klaus Wehmeier von der Körber-Stiftung stellte denn in seiner Festivalbilanz auch weitere Neuerungen für die Werkschau in Aussicht. Es soll ab nächstem Jahr eine Masterclass mit Focus auf bildender Kunst oder Choreografie im Schauspiel geben. Auch an eine Verdichtung des Programms werde gedacht, um die Attraktion der Plattform für die Besucher zu steigern.

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