Das gewalttätige, bildgewaltige Psycho-Puzzle „Stoker“ steckt voller Überraschungen

Bram Stoker wurde Ende des 19.Jahrhunderts mit seinem Roman „Dracula“ berühmt. Der Filmtitel „Stoker“ könnte also auf eine Vampirgeschichte hinweisen, doch bei Park Chan-Wook ist Stoker erst mal nur der Name einer reichen Familie, die in einen riesigen Landhaus mit parkähnlichem Garten lebt. Es herrscht Trauer, denn der Hausherr ist am 18. Geburtstag seiner Tochter India (Mia Wasikowska) tödlich verunglückt.

Für den Teenager bedeutet der Tod eine Katastrophe, denn Richard (Dermot Mulroney) war nicht nur ihr Vater, sondern auch ihr bester Freund. Ihre in sich verschlossene Mutter Evie (Nicole Kidman) hat sich scheinbar sehr schnell mit dem Ableben ihres Gatten abgefunden. Ihre Aufmerksamkeit gilt Richards jüngerem Bruder Charlie (Matthew Goode), der nach mehrjährigen Auslandsaufenthalten überraschend zur Beerdigung auftaucht. India wusste nicht einmal etwas von seiner Existenz, der aalglatte Onkel ist ihr nicht geheuer.

In seinem ersten Hollywood-Film erzählt der renommierte südkoreanische Regisseur Park Chan-Wook („Old Boy“, „Lady Vengeance“) die Geschichte der zurückgezogen lebenden Familie Stoker. Wie in vielen Familien gibt es ein Geheimnis, das erst nach und nach ans Licht kommt. Vorher passieren auf dem Landsitz eine Reihe von Merkwürdigkeiten. Eine Haushälterin verschwindet spurlos, eine Tante spricht Warnungen aus und wird ebenfalls nicht mehr gesehen.

Park Chan-Wook schafft durch ungewöhnliche Perspektiven und Detailaufnahmen eine bedrohliche Atmosphäre. Wenn zum Beispiel eine dünnbeinige Spinne Indias Bein hochkrabbelt, wirkt das aus der Distanz nicht besonders bedrohlich, in Nahaufnahme bekommt das Bild ein anderes Gewicht. Die Gesichter seiner Figuren zeigt der Koreaner oft leinwandfüllend, als wollte er in ihre Gehirne hineinkriechen und die seelischen Abgründe erforschen.

Mittelpunkt des Thrillers ist die junge India. Die überragende Mia Wasikowska spielt ihre Figur als introvertierte Person, doch in ihrem wachen Blick ist in jeder Sekunde zu spüren, wie es in ihr brodelt. Sie beobachtet und analysiert genau, was um sie herum passiert, doch wie ein Raubtier ist sie immer auf dem Sprung. Auch Nicole Kidman passt hervorragend in dieses gewollt starre Setting des Regisseurs. Die Welt der Stokers ist eine hoch artifizielle. Gegenüber seinen in Korea gedrehten Filmen ist die Gewaltdarstellung in „Stoker“ reduziert, doch mit ein paar gewalttätigen Überraschungen wartet Park Chan-Wook in diesem gelungenen Thriller dennoch auf.

++++- „Stoker“ USA 2013, 99 Min., ab 16 J., R: Park Chan Wook, D: Mia Wasikowska, Nicole Kidman, Matthew Goode, täglich im Abaton (OmU), Studio, UCI Mundsburg; www.foxseachlight.com/stoker