In dem Alzheimerdrama „Die Auslöschung“ brillieren Martina Gedeck und Klaus Maria Brandauer als kämpferisches Liebespaar. Mittwoch im Ersten.

Manchmal genügt schon die Art, wie jemand das Weinglas hält, um sich zu verlieben. Oder wie er über Porträtmalerei philosophiert. Wobei es natürlich hilft, dass dieser jemand von Martina Gedeck gespielt wird oder eben von Klaus Maria Brandauer. „Die Auslöschung“ heißt der Film, der mit einer so zarten wie (in Lebensjahren gerechnet) späten Liebesgeschichte beginnt. Weder der Kunsthistoriker Ernst Lemden noch die Restauratorin Judith Fuhrmann sind auf der Suche nach einem neuen Lebenspartner, als sie sich nach einem Museumsvortrag in die Arme laufen. Er ist strahlender Mittelpunkt der gackernden weiblichen Gästeschar, schmeißt mit Witzen und Pointen um sich, sie steht ein bisschen am Rand und zieht spöttisch die Augenbrauen hoch. „Was für ein Gockel“, sagt ihre Freundin.

Der Film des Wiener Regisseurs Nikolaus Leytner nimmt die Stufen vom Kennenlernen bis zur gemeinsamen Altbauwohnung im Eilschritt. Es ist fast so, als wüsste das Paar, dass ihm nicht viel gemeinsame Zeit bleibt. So plötzlich wie von der Liebe werden sie von Ernsts Krankheit überrascht, die sich leise anschleicht und dann die Regie über ihrer beider Leben übernimmt. Bei den gelegentlichen geistigen Aussetzern des Intellektuellen handelt es sich nämlich keineswegs um durch Stress ausgelöste Alltagsvergesslichkeit. „Mein zerstreuter Professor“, nennt Judith ihren Mann anfangs noch zärtlich, der in Containerladungen von Büchern lebt, Aufsätze publiziert hat und sich zum Alleinunterhalter jeder Runde aufschwingt. Wenn er redet, schweigen die anderen. Doch nun ist Ernst schwer krank, er hat Alzheimer, sein Arzt macht ihm anhand der CT-Aufnahmen seines Gehirns wenig Hoffnung. Dass er seine Brille in den Kühlschrank legt und den Namen seines Enkelsohns vergisst, ist noch das harmloseste Missgeschick.

„Der Film behandelt ein Thema, bei dem wir große Defizite haben in unserer Gesellschaft. Hierzulande genieren sich Leute gelegentlich, wenn jemand krank wird oder stirbt“, sagt Hauptdarsteller Brandauer, den man hauptsächlich auf den großen Bühnen dieses Landes (oder des Nachbarlandes) bewundern kann und nur selten im Fernsehen. Umso mehr sollte man die Gelegenheit an diesem Abend in der ARD nutzen. Seine Besetzung und die von Partnerin Gedeck ist der erste Trumpf des Films, der von der gegenseitigen Anziehung seiner Figuren lebt. Eine Vertrautheit verbindet sie, die jenseits der Worte liegt und vor allem jenseits des wachen Bewusstseins. Das wortlose Einverständnis prägt auch dann ihre Beziehung, als die Krankheit Ernst schon fest im Griff hat. Judith weiß, was sie zu tun hat, als er nicht mehr in der Lage ist, sie um Hilfe zu bitten.

„Die Auslöschung“ ist weit mehr als nur irgendein Alzheimerdrama. Die Krankheit ist nicht Vorwand, um der Geschichte die nötige Fallhöhe zu verleihen. Es gelingt Regisseur Leytner und seiner Koautorin Agnes Pluch zwar, die Zerstörungskraft der tückischen Krankheit offenzulegen, im Kern aber erzählen sie die Geschichte einer Seelenverwandtschaft. „Es ist kein Film über Sterbehilfe. Er macht keine Vorschläge und plädiert für keine Lösung. Er erzählt einzig von der Entscheidung zweier Menschen“, sagt Brandauer, der ein wenig auch den Titel bedauert. „Der Film heißt zwar ,Die Auslöschung‘, aber ich finde, er handelt ausschließlich vom Leben.“

Schon die erste Szene des Films kündigt dem Zuschauer den unausweichlichen Weg an, den die Geschichte nehmen wird. Martina Gedeck als Judith lächelt in die Kamera, die Sonne spielt in ihrem Haar, sie sieht glücklich aus. „Aber schön war’s“, sagt sie. Das Echo des Anfangs hat man den ganzen Film lang in den Ohren, weil man zwar nicht weiß, für welche Lösung sich das Paar entscheidet, aber eben sicher sein kann, dass vor dem Abspann kein Happy End mit Sonnenuntergang wartet.

Dass dieses Kammerspiel, angesiedelt im großbürgerlichen Wien, nicht in Schwermut versinkt, ist dabei die größte Überraschung. Klar, dies ist ein trauriger Film, den man vielleicht nicht anschauen sollte, wenn man den Fernseher hauptsächlich zur Berieselung nach einem langen Arbeitstag einschaltet. Aber er findet eben auch Bilder, Worte, Gesten für die Kraft der Liebe. Es ist, als wolle er dem Zuschauer vorführen, wie fragil das ist, was gemeinhin für einen gelungenen oder zumindest plausiblen Lebensentwurf gehalten wird: das Zusammenleben und einander genug sein.

„Meint er eigentlich noch dich?“, fragt Judiths Freundin die zum Umfallen erschöpft wirkende Frau. „Ist das nicht egal?“, antwortet sie. Das klingt nach Resignation, ist aber gleichzeitig auch die Entscheidung, dem Partner beizustehen, auch wenn sich die Vorzeichen geändert haben. Mitunter genügt schon Gedecks Gesicht, um das Publikum für den Film einzunehmen. Ein Leuchten umgibt sie, das den Film von innen heraus erglühen lässt und auch dann nicht ganz erlischt, als klar ist: Das hier wird übel enden. Gerade erst hat Gedeck im minimalistischen Kinodrama „Die Wand“ bewiesen, dass sie locker zu den besten Schauspielerinnen ihrer Generation gehört. „Kennen wir uns nicht?“, scherzt der schon kranke Ernst einmal beim gemeinsamen Abendessen — um dann rasch hinzuzufügen: „Ich mach nur Spaß.“ Beim lauten, erleichterten Auflachen sieht Gedeck aus wie ein junges Mädchen.

Birgit Minichmayr und Philip Hochmair, Enselblemitglied am Thalia Theater, komplettieren die großartige Besetzung von „Die Auslöschung“. Sie spielen Ernsts Kinder, die miterleben müssen, wie aus dem Übervater mit dem autoritären Gestus ein hilfloses Häuflein wird, das Hilfe braucht, um aufs Klo zu gehen. „Er war so mächtig und eloquent und stark, als wir Kinder waren. Und das verschwindet jetzt alles“, sagt Minichmayr als Jungmutter Katja. Steht denn nicht irgendwo geschrieben, dass Eltern, Väter zumal, immer eine Art Fels in der Brandung zu sein haben? Ernst haut in lichten Momenten zwar noch das ein oder andere Witzchen heraus („Was ist der Vorteil von Demenz?“ — „Man lernt jeden Tag neue Leute kennen“), aber er ist nach einem Krankheitsjahr mehr Betreuungsfall als Vaterfigur. Den kleinen Enkelsohn ein paar Minuten mit seinem Großvater allein zu lassen ist eine brenzlige Angelegenheit.

„Meine Grundidee war: Was passiert mit der Liebe, wenn der geliebte Mensch physisch nach wie vor vorhanden, in Wirklichkeit aber geistig und seelisch erloschen ist?“, sagt Regisseur Leytner. Herausgekommen ist ein Film, der ein längeres Verfallsdatum besitzt als übliche öffentlich-rechtliche Schicksalsstücke. Ein mutiger Film, weil er Fingerspitzengefühl, aber keinerlei Berührungsängste im Umgang mit dem heiklen Thema Sterbehilfe zeigt. Nicht jeder wird das Ende befriedigend, angemessen finden. „Die Auslöschung“ handelt von Dingen, die Menschen aus der Bahn werfen können, im positiven wie im negativen Sinne. Er erzählt von der Unberechenbarkeit des Lebens. Und der Liebe.

„Die Auslöschung“, Mittwoch, 20.15 Uhr, ARD. Im Anschluss läuft die Dokumentation „Die Welt des Vergessens“ von Thomas Luck