Berühmt ist sie nicht und doch ist Ursel Scheffler eine der erfolgreichsten Autorinnen Hamburgs. Gelesen wird sie sogar in Kuala Lumpur und China.

Hamburg. Es ist die bunteste Bücheransammlung, die man sich vorstellen kann. Vergleichbar nur mit der Kinderabteilung in der Stadtbibliothek. In diesem Arbeitszimmer läuft die Farbe aus den Wänden, und für den cleveren Polizisten, um den es in vielen der Bücher geht, wäre die Frage nach dem Warum leicht zu beantworten. Junge Leser mögen es farbig.

Das hier, das ist die Bibliothek von Ursel Scheffler, und in ihr stehen nur Bücher von Ursel Scheffler. Na ja, zumindest fast. Die eigenen Bücher – besonders die mit „Kommissar Kugelblitz“ – müssen immer greifbar sein, deshalb ist das so. Ursel Scheffler, geboren 1938, schreibt ja hier auch ihre neuen Kinderbücher, und wenn sie das tut, dann sind die alten gutes Recherchematerial. Frau Scheffler sagt, dass ihr Werk hier nicht aus Eitelkeit in ganzer Pracht zu sehen ist, „das wäre ja albern“.

Frau Scheffler hat in ihrer langen Autorenkarriere bislang etwa 400 Bücher geschrieben, Gesamtauflage: fünf Millionen Exemplare. Sie wurden in 30 Sprachen übersetzt. Aber berühmt? Berühmt ist Frau Scheffler nicht.

Den Kindern, das weiß sie, „ist es nämlich wurstegal, wer ein Buch geschrieben hat“. Und deshalb ist Ursel Scheffler eine praktisch unbekannte Erfolgsautorin. Einerseits. Andererseits wird sie nach Kuala Lumpur eingeladen, um dort zu lesen. Sie reist nach China zu ihren jungen Lesern. Sie kann in Hamburg, ihrer Wahlheimat, und anderen deutschen Städten längst nicht die Einladung jeder Schule annehmen. Am Kirchentag hat sie natürlich teilgenommen, klar. Sie hat auch mal eine Kinderbibel geschrieben, die in mindestens 150.000 Kinderzimmern steht. Aber diese ganzen Zahlen, findet Scheffler, sind nicht wichtig. Wichtig ist der Inhalt ihrer Bücher, in jedem für sich steckt viel Arbeit; in jedem steckt auch viel von der Begeisterung, mit der Scheffel auch noch nach mehr als vier Jahrzehnten in der Branche über ihre Profession spricht. Weshalb in der hanseatisch zu nennenden Bescheidenheit der gebürtigen Nürnbergerin dann doch auch Stolz aufblitzt.

Es ist eine großzügige Wohnung in Winterhude, in der Ursel Scheffler heute mit ihrem Mann lebt. Vor fünf Jahren sind sie aus Volksdorf hierhin gezogen, und an den Wänden hängen viele Fotos von den Kindern und den Enkeln. Scheffler zückt ihr iPad und zeigt die russische Ausgabe eines ihrer Titel. Soll niemand denken, die ältere Dame stehe mit den Neuen Medien auf Kriegsfuß: Vor Kurzem war sie in Indien und hat dort den Mann besucht, der ihre E-Books realisiert. Soll auch niemand denken, Frau Scheffler sei eine nette Omi, die Märchen erzählt. Sie sieht sowieso jünger aus als Mitte 70. Und sie hasst nichts mehr als den Erzählsessel, der manchmal auf der Bühne steht, wenn sie eine Veranstaltung hat, „am besten noch mit Leselampe“.

Man kann sich wirklich gut vorstellen, dass sie auf der Bühne genauso agil ist wie jetzt in ihrem Esszimmer: dass sie mit dem Mikrofon herumspringt, zum Publikum stürzt und Fragen stellt. Sie ist die Tochter zweier Lehrer und hat neben Romanistik und Anglistik auch Pädagogik studiert, und das merkt man gerade auch bei ihren „Kommissar Kugelblitz“-Bänden, da sollen und dürfen die Leser den Täter selbst finden. Um was es ihr mit den Kugelblitzbüchern, die seit Generationen auch in Hamburger Kinderzimmern gelesen werden, geht? Formuliert hat das, erklärt sie lächelnd, es ist ein nettes Bonmot: ein kleiner Chinese. Eine Delegation aus Asien war nämlich kürzlich zu Besuch in Hamburg, und auf die Frage, was er an dem berühmten und beliebten Kommissar aus Deutschland so gerne mag, antwortete der junge Leser daraufhin: „Weil er lustig ist und weil ich mein Gehirn beim Lesen seiner Geschichten trainiere.“

15 Prozent des Umsatzes auf dem Buchmarkt entfällt auf den Bereich der Kinder- und Jugendliteratur. Ursel Scheffler ist neben Kirsten Boie („Wir Kinder aus dem Möwenweg“) wohl die etablierteste Autorin aus Hamburg. Gerade ist ein neuer Kugelblitz-Band erschienen („Kugelblitz in Amsterdam“), aber die Dame, die man nicht anders als „vital“ nennen kann (sie würde das nicht mögen), scheint sich keine Illusionen über den Zustand der Lesekultur zu machen. Früher war mehr Lesen, und deshalb ist Scheffler heute vielleicht noch entschiedener auf Mission. Einst sei mehr vorgelesen worden, sagt sie, „und früher waren die Kinder, das sehe ich an meinen Enkeln, auch nicht so anspruchsvoll, was ihre Beschäftigung angeht“. Stimmt, sekundiert man ihr sofort – und ist doch froh über PC und Internet und überhaupt, die einem manche Stunden in der Jugend und auch danach versüßt haben.

Aber Scheffler ist keine Pessimistin. Unkerei mag sie nämlich gar nicht, und es wirkt sehr authentisch, wenn sie gegen Miesmacher wettert. Aber dass Bücher wichtig sind, das muss und will sie dann doch sagen: „Kinder müssen früh an das Lesen herangeführt werden, gerne auch mit Großdruck – der ist besonders wichtig für die lesefaulen Jungs im dritten Schuljahr.“ Wenn Ursel Scheffler für ihre neuen Bücher wirbt (mit einer Vorlese-Spezialedition sollen Kinder im Vorschulalter alphabetisiert werden), dann wirbt sie vor allem für die Kraft der Imagination. Und weil sie, trotz iPad und E-Book den Konservatismus der Älteren kultiviert, schimpft Scheffler über die Mangas, jene aus Asien importierten Comics, in denen, so empfindet sie es, nur die Oberfläche bedient wird: die Topmodels- und „DSDS“-Welt.

Ihr ungetrübter Glaube ans Lesen ist auf seine Art rührend; aber man denkt dann doch an die verschärfte Medienkonkurrenz, an Bilderfluten und Videoclips, an Fernsehshows und Computerspiele. Ursel Scheffler hat vor zwei Jahren das Projekt „Büchertürme“ ins Leben gerufen, weil Hamburg im Bereich Lesen bei den PISA-Studien miserabel abschneidet. Hamburgs Grundschüler „erklommen“ damals den Michel, indem sie die gelesenen Bücher virtuell auf 132 Metern stapelten. So hoch ist Hamburgs berühmteste Kirche. Die Idee der Büchertürme wurde mittlerweile auch in andere Städte exportiert, und wenn Ursel Scheffler über den Unsinn reformierter Schulen und experimenteller Unterrichtseinheiten räsoniert, dann merkt man: Diese Dame hat eine genaue Vorstellung, welche Ideen didaktisch wirklich sinnvoll sind und welche nicht. Sie ist nicht leicht zu stoppen in ihrem fränkisch gefärbten Redefluss, und sie kannte keinen Halt beim Schreiben. Eigentlich, erzählt sie, wollte sie aufhören als Kinderbuchautorin, als ihre eigenen Kinder erwachsen wurden.

Aber dann hat sie einfach weitergeschrieben bis heute, hat etwas für den Unterrichtsstoff an den Schulen getan („Ich bin das Werkzeug, den Rest müssen die Pädagogen in der Schule machen“) und ist „Kind geblieben“, sagt Ursel Scheffler. Kind, nicht Teenager; darauf legt sie wert.

Wer mit 14 gerne liest, der ist vielleicht von Ursel Scheffler angefixt worden

Für Pubertierende schreibt sie nicht. Da endet ihre Zuständigkeit. Was sollte ein 14-Jähriger auch mit dem gemütlichen Hamburger Ermittler Kommissar Kugelblitz anfangen? Mindestens wird er ihn langweilig finden, schlimmstenfalls peinlich. Wer aber mit 14 gerne liest, der ist vielleicht von Ursel Scheffler angefixt worden.

Die Autorin, die ein Profi auf ihrem Gebiet ist, hat nur ein Schulterzucken für die Heidi Klums übrig, Promis also, die irgendwann auf die Idee kommen, auch einmal etwas für Kinder zu schreiben. Nicht viel fällt ihr zu den ach so Wohlmeinenden ein, die bei Abendessen oder anderen gesellschaftlichen Zusammenkünften entzückt auf ihren Beruf reagieren: Was für ein nettes Hobby!

Nichts wäre der Wirklichkeit ferner. Gleich wird Ursel Scheffler wieder an die Arbeit gehen.