Documenta-Künstler John Bock hat im Kunstverein ein verwirrendes Labyrinth errichtet. Nur zehn Besucher dürfen gleichzeitig in die Schau, Weißraum schärft die Sinne

Hamburg. Mitten in die Karlsaue hatte John Bock zur Documenta 11 ein Theater gesetzt, und in Berlin in die temporäre Kunsthalle ein verschachteltes, hölzernes Rumpelkammern-Labyrinth gezimmert, um darin mehr als 60 Werke seiner Kollegen zu verstecken. Nun hat Bock, der einst bei Franz Erhard Walther in Hamburg studierte, im hiesigen Kunstverein seine längst fällige Ausstellung bekommen, die auch gut in die Kunsthalle gepasst hätte: „John Bock – Der Pappenheimer“ kann man bis zum 30. Juni besuchen.

Auch hier ist der Konzeptkünstler weit davon entfernt, Erwartungen zu bedienen. Nur zehn Besucher dürfen sich gleichzeitig in seiner Ausstellung aufhalten. Kaltes Weiß und grelle Neonröhren von oben strahlen einem entgegen, wenn man die Plastikvorhänge durchteilt und den Fuß in den ersten, sehr schmalen Gang gesetzt hat. Ist das hier eine Seuchenschleuse? Wo ist vorn und wo ist hinten? Und dann liegt da noch dieser penetrante Geruch in der Luft, „Mais und Weichspüler. Schön süßlich“, freut sich Bock.

Auch der nächste enge Gang ist kalkweiß, aseptisch, beleuchtet von weißen Neonröhren, die wie Venenklappen den Energiefluss befördern. Verbunden über die engen hohen Gänge wandert man von Kammer zu Kammer. Manchmal gerät die Orientierung ins Wanken, für Klaustrophobiker ist diese Ausstellung ungeeignet. Mit seiner Pappenheimer-Installation wollte der Künstler „keinen weiteren Materialfusionskollaps“, sondern er hat hier „die analoge Basis zum digital überbordenden Infocomputercrashkurs“ geschaffen. Sagt er selbst. Wie er das genau meint, spürt man sehr deutlich, wenn man den nächsten Raum erreicht hat: Hier fällt der Blick auf winzig kleine, fragile Gegenstände, eine Brille, einen Coffee-to-go-Deckel, einen Kugelschreiber, eine Plastiktüte. Einsam geben die Gegenstände, ein jeder per Draht sehr leise in Gang gesetzt, ihr Geräusch ab, das Knistern, Knacken und „dieses Klicken des Kulis, bevor man das Examen schreibt“ (Bock), werden per Tonabnehmer über Kabel zusammengeführt und verschwinden in einem Loch in der Wand, wo sie „in die große Gelée-royal-Blase getragen werden“. Dirigent Bock hat hier ein poetisches Ensemble des „Originalklangs der kleinen Dinge“ erschaffen. Ihm geht es darum, dass „die kleinen Dinge Anerkennung verdienen“.

Folgt man dem grellweißen, die Sinne zugleich trübenden und schärfenden Parcours weiter, trifft man auf ein aufgeschlagenes Buch, eine Szene aus Fellinis Film „Casanova“, wo der alte Schwerenöter von Frauen umringt auf seinem Bett liegt. Das, erzählt Bock, sei nun sein Lieblingsfilm, und diesen Casanova, den damals Donald Sutherland gespielt habe, wolle er „zum Leben erwecken“. So stellte er dem alten Sutherland ein mit Wasser gefülltes Gurkenglas aufs Gesicht, versteckte Automatik und Minikamera in einem Strumpf und versetzte dem Gesicht regelmäßig einen Stoß, fast wie Atmen. Und das, obwohl der alte Frauenverführer und würdige Vertreter der Welt von gestern in Fellinis Film eigentlich endlich seine Ruhe haben will.

Auch nebenan liegt jemand, den John Bock wiederbeleben will. Es ist der Pappenheimer, der der Ausstellung seinen Namen gegeben hat. Literaturfreunde erkennen ihn als Ausruf von Schillers Wallenstein. Dieser hier liegt wie ein gefällter Baum auf dem Boden, und sein Kopf steckt in einer geheimnisvollen Pappkiste. „Hier hat der Mensch die Chance, etwas selbst zu Ende zu denken. Designer haben dagegen das Problem des Fertigen“, erklärt der Künstler.

Die Fährten, die John Bock gelegt hat, verbinden sich zu einem Gedankenkreislauf, der in einem kleinen Film gipfelt, der Gelée-royal-Blase. Hier erblickt man Pappenheimers Kopf, in dessen einem Auge Casanovas Gesicht bebt. Die Ausstellung ist ein gelungener Versuch, den Menschen auf sich selbst, seine Kultur und nur wenige Zitate aus der überfüllten Welt da draußen zurückzuwerfen. In Berlin hatte Olafur Eliasson im Gropius-Bau einen atmosphärisch ähnlichen Raum konstruiert, wo das Licht die scheinbar verlässlichen Gesetze der Raum- und Körperwahrnehmung noch extremer außer Kraft setzte. Doch Bock arbeitet ohne Farbe, und er will die Leute nicht mit Atmosphäre malträtieren. Das galerietypische Weiß hat er in dieser schönen Ausstellung dafür genutzt, um Verwirrung und Klarheit in ein neues, der „Kunstwohlfahrt“ dienendes Verhältnis zueinanderzubringen.

John Bock: „Der Pappenheimer“ Ausstellung bis zum 30. Juni im Kunstverein, Klosterwall 23. Di bis So, 12 bis 18 Uhr