Die britische Schauspielerin Charlotte Rampling drehte mit ihrem Sohn Barnaby Southcombe als Regisseur den Psychothriller „I, Anna“

Hamburg. Liebe hat viele Gesichter, manchmal geht es dabei auch ein bisschen hin und her. Wenn der Regisseur am Filmset von „I, Anna“ über seine Hauptdarstellerin sprach, nannte er sie respektvoll „my leading lady“ oder einfach „Charlotte“. Nach Drehschluss gestaltete er die Ansprache ein bisschen persönlicher. „Im Auto auf dem Weg zurück ins Hotel wurde daraus wieder ‚Mum‘“, erinnert sich Barnaby Southcombe. Der britische Regisseur hat einen Psychothriller mit seiner Mutter Charlotte Rampling in der Hauptrolle inszeniert. Eine unkonventionelle Konstellation. Gedreht wurde der Film, der seit Donnerstag in den Kinos läuft, unter anderem auch in Hamburg.

Gemeinsam ist beiden Hauptfiguren im Film ihre Schwermut. Anna (Charlotte Rampling) trägt ein dunkles Geheimnis mit sich herum. Das ahnt der ausgebrannte Kommissar Bernie Reid (Gabriel Byrne). Trotzdem oder auch deswegen fühlt er sich zu der mysteriösen Frau hingezogen. Sie begegnen sich beim Speeddating, Liebe scheint zum Greifen nahe. Einen stylishen Thriller noir hat sich Southcombe für sein Regiedebüt „I, Anna“ ausgesucht und lässt ihn in einem kühl und abweisend wirkenden London spielen. Gedreht wurde der von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein unterstützte Film eine Woche lang im Studio Hamburg, in der Hansestadt entstanden einige Außenaufnahmen, hier wurde die Postproduktion abgewickelt. Der Hamburger Michael Eckelt fungiert mit seiner Riva Film als Koproduzent.

Dass Rampling und Southcombe ihr besonderes Verhältnis nicht überbewertet sehen möchten, ist verständlich. Dass man es nicht ignorieren kann, ist ebenso klar. Sowohl Mutter als auch Sohn versuchen es mit der Strategie Understatement. „Ich hatte schon vorher vieles von dem gelesen, was er im Laufe der Jahre geschrieben hatte und war nicht besonders begeistert davon, auch nicht vom ersten Treatment für die Geschichte“, beschreibt Rampling ihre anfängliche Skepsis. Eine Selbstverständlichkeit ist ihr Mitwirken also nicht. Aber dann, sagt sie, habe ihr Sohn sie überrascht. „Das fertige Drehbuch hat er mir über meine Agentin geschickt. Deshalb habe ich ihn in einem Anflug von speziellem Humor gefragt: Bist du sicher, dass du das geschrieben hast? Er fragte, warum? Ich habe geantwortet: Weil es verdammt gut ist.“ Sie lacht über diesen Scherz und ergänzt gespielt maliziös: „Ich bin eine Mutter aus der Hölle. Das können Sie auch daran sehen, was Lars von Trier in ‚Melancholie‘ aus mir gemacht hat.“ Der dänische Regisseur ließ sie in seinem Weltuntergangsdrama die Mutter von Kirsten Dunst als Furie spielen.

Charlotte Rampling ist seit den 60er-Jahren ein Star im Filmgeschäft. Die Frau, die auf der Leinwand bisweilen kühl und geheimnisvoll wirkt, kann aber auch sehr nahbar, unkompliziert und albern sein. Sie hat zu Beginn ihrer Karriere kontroverse Rollen wie in Viscontis „Die Verdammten“, Liliana Cavanis „Der Nachtportier“ oder der Inzest-Tragödie „’Tis Pity She’s a Whore“ gespielt, die ihr Sohn erst sehen durfte, als er 18 war. Die Schauspielerin, die auch von Fotografen gern in rätselhafter Pose inszeniert worden ist, hat sich aber immer auch rar auf der Leinwand gemacht. Als François Ozon sie in seinem Drama „Swimming Pool“ besetzte, sorgte er 2003 für ihr Comeback.

Darüber war die sonst sehr zurückgezogen lebende, elegante 67-Jährige offenbar verwundert. „Ich bin völlig erstaunt, dass die Leute immer noch wollen, dass ich Filme mache. Ich muss mich immer treten, damit ich aus dem Haus gehe, denn ich liebe es, nur mit meinen Büchern, meinen Katzen und meinem Mann zusammen zu sein.“ Eine interessante Reihenfolge.

Wie vielschichtig sie gestrickt ist, konnte man in Angelina Maccarones gelungener Dokumentation „The Look“ erfahren, in dem sie im Gespräch mit Freunden auch unbekanntere Seiten aufscheinen lässt. „Schon als junge Frau habe ich mich immer verstecken wollen“, sagt die Frau, die während der Dreharbeiten zu diesem Film vom damaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy mit der Medaille der Ehrenlegion ausgezeichnet wurde. Als Charlotte 20 Jahre alt war, beging ihre Schwester Sarah Selbstmord nach einer Fehlgeburt, ein traumatisches Erlebnis. In Erinnerung an sie heißt Ramplings Charakter in „Swimming Pool“ Sarah.

Dass sie vor allem die unkonventionellen Rollen interessieren, sieht sie als innere Notwendigkeit. „Ich gehe gern gegen meinen eigenen Strich. Das hat nichts mit der Welt da draußen oder der Lust zu provozieren zu tun. Es geht darum, mich am Leben und interessiert zu halten. Ich brauche diese Rollen, um mit jemandem kämpfen und innerlich wachsen zu können.“ Dann macht sie noch einen neuen Anlauf: „Ich wollte auch…oh Mann, was rede ich nur wieder für einen prätentiösen Mist.“ Lachend schüttelt sie über sich selbst den Kopf. Diese Art der Nabelschau liegt ihr nicht so. In ihren Filmen kommt sie oft ohne große Dialoge aus, arbeitet mit einer beeindruckenden Körpersprache. „Die Idee, nur sehr wenig zu sagen, hat mir immer gefallen. Ich wollte noch nie viel reden. Manchmal geraten mir die Worte einfach in die Quere.“ Das macht sie nicht unsympathisch, erfreulicherweise hält sie sich im Interview nicht an diese Maxime. Auf der Leinwand hat sie viele eigenwillige Frauen verkörpert. Natürlich weiß sie um ihren Ruf als Spezialistin für Merkwürdige. Das hat auf ihr Bild in der Öffentlichkeit abgefärbt. „Ich habe schon Leute getroffen, die sich darüber wunderten, dass ich tatsächlich spreche und sogar lache.“

Ihren Sohn Barnaby hat sie schon als Dreijährigen mit an einen Filmset genommen. Sie sagt über ihn, er sei eine Art Zirkuskind. Eine von Southcombes frühesten Erinnerungen sind die an ein sehr heißes Land: Malta. „Ich trug Shorts, aber um mich herum liefen viele dick verpackte Menschen. Es gab dort Eisberge, aber sie waren ebenso aus Kunststoff wie die mechanischen Wale.“ Er war 1977 dabei, als sein Mutter auf Malta „Orca, der Killerwal“ drehte.

Gern würde Southcombe herausstellen, dass die Besetzung seiner Mutter in „I, Anna“ völlig normal ist. Aber natürlich mischt sich in seine Beurteilung der Stolz des Regiedebütanten mit dem des Sohnes. „Man möchte von Schauspielern, dass sie ihrem Charakter eine Tiefe geben, die man nicht im Drehbuch findet. Wenn möglich, sollen sie noch weiter gehen. Der Knackpunkt bei ihr ist es, überhaupt ihre Zusage zu bekommen.“ Und die war entscheidend beim Zustandekommen des Films, denn Förderer mögen bekannte Namen. Auch so war es noch schwer genug: „Jeder mochte das Drehbuch, aber keiner wollte der Erste sein, der Geld gibt.“ Aber seine Mutter hat ihn nicht im Stich gelassen. „Wenn sie Ja gesagt hat, hängt sie sich voll rein. Für einen Regiedebütanten ist es ein großartiges Gefühl. Ich war beeindruckt, wie schnell sie Zugang zu Emotionen findet. Das ist eine sehr präzise Kunst.“

Sein Drehbuch zu „I, Anna“ basiert auf der Romanvorlage von Elsa Lewin, die 1998 schon Basis für Nico Hofmanns bislang letzten Film als Regisseur, „Solo für Klarinette“, war. Götz George und Corinna Harfouch spielten die Hauptrollen. Southcombe hat in seiner Interpretation des Stoffs andere Akzente gesetzt. „Ich wollte zwei Leute zeigen, die in der Architektur einer Stadt gefangen sind. London sollte unvertraut aussehen.“

Im unvertrauten Hamburg hat es ihm so gut gefallen, dass er für seinen nächsten Film unbedingt die Catering-Firma nach London kommen lassen will. Es ist eben nicht nur die Liebe, die manchmal auch durch den Magen geht.