Das Konzert von US-Superstar Pink in der Hamburger 02 World war ein stimm- und körpergewaltiges Spektakel. Bei der aktuellen Show wirbelt sie, von vier Tauen gehalten, durch die Luft und zeigt akrobatische Figuren.

Hamburg. Die Tribünen beben unter dem Getrampel der Füße, der Jubel ist gehörschädigend laut, mancher Fan im Oberrang der O2 World traut seinen Augen nicht. Vis-à-vis mit Pink in dieser Höhe? Ja, denn an diesem Abend sind die Gesetze der Schwerkraft ausgehebelt. Zu „So What“ lässt sie sich von vier durch die Halle gespannten Seilen mit einer Art Rettungsring um die Hüften durch die Halle katapultieren. Wie Peter Pan fliegt sie über die Köpfe hinweg, kommt dem Videowürfel unter der Decke ziemlich nahe, schlägt dabei Salti, stürzt steil in Richtung Boden, berührt ein paar Hände, fliegt in Richtung Oberrang weiter, macht kurze Pausen auf zwei schmalen Podesten und landet am Ende des Songs auf der Bühne. Mit dieser spektakulären Einlage beendet die US-Sängerin ihr Auftaktkonzert der diesjährigen Deutschlandtournee in Hamburg unter dem Motto „The Truth About Love“.

Arroganz und distanzierte Stilisierung gibt es bei ihr nicht

Zirkuselemente hatte die Pop-Entertainerin schon 2009 bei ihrer „Fun House“-Tournee im Programm. Bei der aktuellen Show, die im Februar in Phoenix Premiere feierte, steigert das Kraftpaket mit der blonden Kurzhaarfrisur ihre physische Performance noch. Bei „Try“ wirbelt sie, von vier Tauen gehalten, durch die Luft und zeigt akrobatische Figuren, die jeder Artistin zur Ehre gereichen würden. „Sober“ singt sie, an einem eiförmigen Käfig hängend, in luftiger Höhe. Playback gibt es hier nicht. Angesichts der Extremturnerei können sich Kolleginnen wie Lady Gaga, Beyoncé oder Britney Spears eine Menge abschauen. Egal, was für Kapriolen sie schlägt, Pink bewegt ihre Lippen nicht synchron zur Musik, sondern singt jeden Song voller Emphase, wird aber auch von zwei stimmgewaltigen Backgroundsängerinnen unterstützt.

Die Sängerin mit dem Waschbrettbauch und den großen Tattoos auf Oberschenkel und Rücken muss in ihrer Show hart und konzentriert arbeiten. Aber sie schafft das mit einer geradezu nonchalanten Lässigkeit. Auf sieben Videoleinwänden inklusive einer großen herzförmigen im Mittelpunkt der Bühne wird ihr Lachen auch in den entlegensten Winkel der Arena übertragen.

Pink scherzt mit dem Publikum, legt sich am Bühnenrand auf den Bauch und robbt über die Ordner hinweg, um einem Fan in der ersten Reihe ein Küsschen auf die Wange zu drücken. Stoffherzen, Fußballtrikots und bedruckte T-Shirts mit Heiratsangeboten werden ihr entgegengereicht und sie kommentiert jedes Geschenk. „Wenn ich das nächste Mal hier bin, möchte ich Käse. Ich hätte jetzt große Lust auf Pizza und Käse“, sagt sie und lacht. Bis zum nächsten Hamburger Konzert muss sie nicht warten. Kurz vor Ende der fast zweistündigen Show reicht ihr ein Fan ein Päckchen mit Käse-Scheibletten nach oben. Die Überraschung funktioniert, Pink wirkt gerührt.

Ihr Erfolg stützt sich nicht nur auf ihre spektakuläre Show und ihre Hits, sondern auch auf die Nähe, die sie zu ihren Fans sucht. Arroganz und distanzierte Stilisierung gibt es bei ihr nicht. Auch wenn so eine Show minutiös geplant ist, nimmt sie sich Raum für spontane Einfälle und Reaktionen. In Hamburg steht sie plötzlich mit Nate Ruess auf der Bühne. Mit ihm hat sie den Song „Just Give Me A Reason“ geschrieben, aber noch nie live gesungen. Ruess weilte zufällig in Hamburg, am Donnertag gab er im Docks ein Konzert mit seiner Band Fun. Pink lud ihn zu ihrer Show ein, probte das Duett beim Soundcheck mit Ruess und schenkt den Hamburger Fans eine Nummer, die sie exklusiv erleben dürfen. Mehr als 10.000 Kehlen singen den Refrain mit. Pink strahlt.

Ab und zu wird das Tempo dramaturgisch geschickt aus dieser Tour de Force herausgenommen. Eine zu Herzen gehende Ballade wie „Wicked Game“ hat Pink nie selbst geschrieben, also bedient sie sich bei ihrem Kollegen Chris Isaak und covert dessen Song. Für „The Great Escape“, das sie zusammen mit Dan Wilson geschrieben hat, setzt sie sich später an einen Flügel. „Ich habe Dan beim Klavierspielen zugesehen und war fasziniert. Ich musste ganz schön lange üben, um das hinzubekommen“, sagt sie. Aber genauso hart, wie sie an ihren Trapez- und Hochseilnummern gearbeitet hat, hat sie am Klavier geübt, um das Lied als Solistin zu präsentieren. Auch mit ihrem Gitarristen Justin Derrico spielt sie zwei Songs auf einer kleinen Bühne mitten im Publikum. „Who Knew“ und „Fucking Perfect“ sind wie die akustische Ruhe vor dem finalen Sturm. Der bricht mit einem Medley aus frühen Songs von ihrem ersten Album „Can’t Take Me Home“ los. Mit dem aktuellen „Slut Like You“ geht es weiter. „Wer ist eine Schlampe?“, fragt Pink, aber nur etwa zehn Finger gehen etwas schüchtern hoch. Mitgesungen wird dennoch lauthals. „Blow Me (One Last Kiss)“ haucht Pink ins Mikro, bevor sie in der Zugabe bei „So What“ zum Hallenflug ansetzt.

Mit „The Truth About Love“ setzt Pink im internationalen Pop-Geschäft neue Maßstäbe. Das raffinierte Bühnenbild, die exzellente Band, die harten Rock und sanfte Töne gleichermaßen beherrscht, und die attraktiven Tänzer in einer nicht zu aufdringlichen Choreografie sind die mehr als solide Basis der Show. Doch es gibt derzeit niemanden im Tour-Zirkus mit einem solchen Charisma wie das Energiebündel aus Pennsylvania. Wie ein Luftgeist mit rauer Janis-Joplin-Stimme fliegt sie durch die Arenen. Und sorgt erst für ungläubiges Staunen und dann für orkanartigen Beifall. „Das war ja wohl der Hammer“, sagt eine junge Frau beim Rausgehen zu ihrer Freundin. Die nickt nur, es hat ihr die Sprache verschlagen.