Drei Monate lang an jeweils sechs Tagen in der Woche saß Marina Abramovic 2010 im New Yorker Museum of Modern Art auf einem Stuhl und sah den Besuchern, die einzeln ihr gegenüber Platz nahmen, in die Augen. „The Artist Is Present“ hieß dieses Projekt der aus dem ehemaligen Jugoslawien stammenden Künstlerin, das sich nahtlos in den Kanon ihrer Extrem-Performances einfügte. Der New Yorker Regisseur Matthew Akers dokumentiert in seinem mitreißenden Film nicht nur die MoMa-Aktion, er bettet sie ein in das faszinierende Porträt einer Frau, die immer wieder in Grenzbereiche vorgestoßen ist, viele Jahre gemeinsam mit ihrem damaligen Partner Ulay. Körpereinsatz spielte dabei stets eine zentrale Rolle. Mal schrien sich die beiden aus vollem Hals an, mal rannten sie sich nackt gegenseitig über den Haufen oder ohrfeigten einander mit einer Unmittelbarkeit, die schon beim bloßen Zusehen schmerzt – alles aus der Intention heraus, das Mann-Frau-Verhältnis zu beleuchten.

Unvergessen und hier auch dokumentiert: eine Performance auf der Chinesischen Mauer. Marina Abramovic und Ulay gingen von verschiedenen Enden aus aufeinander zu; ihre Beziehung endete, als sie sich nach drei Monaten schließlich trafen.

„The Artist Is Present“ ist ein Film von großer Intensität, der einer radikalen Künstlerin ungemein nah kommt und manchmal, etwa wenn das getrennte Paar sich nach 23 Jahren wieder begegnet, gar zu Tränen rührt. Auch sehr lohnend: Das 40-seitige Booklet mit Bildern und Texten, darunter Abramovics künstlerisches Manifest, das der DVD-/Blu-ray-Veröffentlichung beiliegt.

„Marina Abramovic – The Artist Is Present“ 102 Minuten, ab 12 Jahren