Hamburg. Man könnte meinen, einem Staatsgründer oder Säulenheiligen würde am Mittwochabend in der Markthalle die letzte Ehre erwiesen. Dabei geht es doch „nur“ um einen Musiker. Zugegebenermaßen um Rio Reiser, den Mitgründer von Ton Steine Scherben, Vorzeige-Krawallmacher der gutbürgerlichen Bundesrepublik und nach Auflösung der Band auch gern geherzten Popstar.

Aber man kann sich bei der konzertanten Lesung im Rahmen des Literaturfestivals „Lesen ohne Atomstrom“ doch nicht so ganz des Eindrucks erwehren, dass dem einen oder anderen im vollem Rund ein Glassarg zum Dran-vorbei-Kondolieren oder zumindest eine Horde Klageweiber ganz lieb gewesen wäre.

Nach dem von Frank Otto und Oliver Neß moderierten Einstieg, bei dem naturgemäß kein gutes Haar am Stromkonzern Vattenfall gelassen wird, wechseln sich jedenfalls Reiser-Biograf Hollow Skai und diverse Mitstreiter wie -musiker der Scherben ab: Skai liest Episoden aus Reisers Leben, Kai Sichtermann, Funky K. Götzner und Marius del Mestre tragen, von Gästen wie Jan Plewka und Jan Delay verstärkt, Liedgut aus Reisers Feder vor.

Der von Flora-Aktivisten leidenschaftlich gehasste Corny Littmann darf zu fröhlichem Applaus „Kommen Sie schnell (Irrenanstalt)“ zum Besten geben, was in Anbetracht der Streiterei um den ursprünglich geplanten Veranstaltungsort Rote Flora durchaus lustig ist.