Bei Paul Klee sind die geflügelten Wesen oft allzu menschlich. Die Kunsthalle zeigt sie im Hubertus-Wald-Forum

Hamburg. Engel sind meistens keine Müßiggänger, sondern Werktätige mit breitem Betätigungsfeld . Sie haben viel zu tun, sind göttliche Boten, Personenschützer, Türsteher, Krieger, Wächter oder auch Musiker mit Harfen, Pauken und Trompeten. Auf Albrecht Dürers „Dresdner Altar“ von 1496 halten sie nicht nur die Himmelskronen auf der Stelle schwebend über dem Kopf der Gottesmutter, sondern gehen auch Joseph in der Tischlerwerkstatt emsig zur Hand. Selten haben sie so viel Muße wie die beiden Nachwuchsengel, die Raffael auf dem unteren Bildrand seiner Sixtinischen Madonna lümmeln lässt.

Mindestens so menschlich wie die wohl populärsten Vertreter der Gattung auf dem 1512 in Rom entstandenen Renaissancegemälde wirken auch viele der Engel des deutschen Malers Paul Klee (1879–1940), die die Kunsthalle jetzt erstmals in einer thematischen Ausstellung versammelt hat. Gezeigt werden ab heute im Hubertus-Wald-Forum 80 Zeichnungen, Aquarelle, Gouachen und einige Gemälde, die aus dem Berner Zentrum Paul Klee sowie aus mehreren Privatsammlungen und Museen aus der Schweiz und Deutschland stammen.

Schon als Kind hatte der im Kanton Bern geborene Künstler Engel gezeichnet, sich diesem Motiv später jedoch nicht kontinuierlich, sondern nur in bestimmten Lebensphasen gewidmet. Deshalb stellt die Kuratorin Karin Schick zwar die frühesten und die spätesten Engel-Motive an den Anfang und das Ende der Ausstellung, gliedert diese jedoch ansonsten nicht chronologisch, sondern thematisch.

Paul Klee war Protestant, aber kein besonders gläubiger Mensch. Gleichwohl hatte das Leben für ihn eine spirituelle Dimension. „Seine Engel stehen weniger für Himmel und Erde als vielmehr für das Werden und Vergehen. Klee sieht sie als Metapher für Übergänge“, meint Kunsthallen-Chef Hubertus Gaßner und fügt hinzu: „Klees Engel sind nicht unbedingt fromm, sondern können durchaus auch böse sein.“

Als Sechsjähriger hat Paul Klee seine ersten Engel gezeichnet und sich dabei selbstverständlich auf die christliche Ikonografie bezogen, diese aber bereits ironisch gebrochen. So erscheint in einer Weihnachtsszene der Engel nicht als Verkünder der frohen Botschafter, sondern selbst in der Rolle des Beschenkten.

Klees bekanntester Engel, die 1920 entstandene Ölpausenzeichnung „Angelus novus“, wird in der Ausstellung nur als Reproduktion gezeigt, da das Original aus dem Israel-Museum in Jerusalem aus konservatorischen Gründen nicht ausgeliehen werden konnte. Trotzdem ist diesem Blatt, das der Philosoph Walter Benjamin bereits 1921 erwarb, ein eigener Ausstellungsteil gewidmet. Benjamin bezeichnet die Figur als „Engel der Geschichte“ und interpretiert sie auf ganz eigene Weise: „Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann.“ Erst durch Benjamins pessimistische Interpretation ist der „Angelus novus“, der später in den Besitz von Theodor W. Adorno und Gershom Scholem gelangte, zu einer Ikone geworden.

Aber auch viele anderen Engel sind nicht Herren des Geschehens, sondern Getriebene. Sie sind nicht immer gut, sondern oft auch bedrohlich, wobei Klee das einerseits ironisch überhöht, sich aber andererseits dabei durchaus in der Tradition der christlichen Ikonografie befindet, die auch die gefallenen Engel kennt.

Aber Gut und Böse sind komplementäre Größen. „Man sieht nie das Böse, das sie tun, Klee zeigt eine Haltung, aber nicht deren Auswirkung“, meint Kuratorin Karin Schick, die den Blick auf den zeichnerischen Prozess lenkt: „Es sind rasch entstandene Blätter, die dennoch durch eine enorme Präzision bestechen.“ Oft sind die Figuren aus geometrischen Formen konstruiert, der Kreis als Kopf, ein Quadrat als Rumpf und ein Dreieck als Flügel. Erst später hat Klee die Blätter auf Karton geklebt, sie mit einer Signatur und einem Titel versehen. Diese nochmalige Reflexion, dieser zweite Gestaltungsschritt trug oft nicht zur Klarheit, sondern eher zur Verrätselung der Motive bei.

Doch es passt zu diesen Engeln, dass sie ambivalent sind, dass die Dinge nie eindeutig erscheinen, sondern stets in der Schwebe bleiben. Und dabei oft sehr menschlich erscheinen. Besonders bei den „irischen Engeln“, die – ausweislich ihrer Bildtitel – hässlich, altklug oder auch vergesslich sein können. Vor allem in den letzten beiden Lebensjahren, als der Künstler durch eine schwere Krankheit beeinträchtigt und geschwächt war, zeichnete Klee mit ironischem Blick Engelswesen, die manchmal erschöpft wirken und denen die Dinge über den Kopf zu wachsen scheinen. „Letzter Erdenschritt“, heißt eines dieser Blätter, „Krise eines Engels I“ ein anderes. Zu den wenigen Gemälden der Ausstellung gehört auch das im Todesjahr entstandene „Letzte Stillleben“, eine ebenso fantastische wie rätselhafte Komposition, auf der auch eine seiner Engelszeichnungen auftaucht. Doch hat er das Minuszeichen des ebenfalls 1940 entstandenen „Engel, noch hässlich“ sicher mit Vorbedacht auf dem Stillleben in ein Plus verwandelt.

Paul Klee. Engel. Hamburger Kunsthalle. Bis 7.7., Di–So 10.00–18.00, Do bis 21.00