Ein Gespräch mit dem Tenor Ian Bostridge über Liedgesang, das „Rheingold“ und sein Verhältnis zur Alten Musik. Ende April porträtiert der Sänger an drei Abenden seinen Landsmann Benjamin Britten.

Hamburg. Es gibt Tenöre, und es gibt Ian Bostridge. Der schlaksige Brite, der auch mit 48 Jahren noch aussieht wie ein Collegeboy, ist eine Kategorie für sich. Vom üblichen Knödeln ist er weit entfernt. Bostridges feine, sinnbewusste Tongebung geht Hand in Hand mit seiner Intelligenz, die seine ausgeprägte Stirn fast zu sprengen scheint. Zum Interview empfängt er im Künstlerzimmer der Laeiszhalle, faltet seine endlosen Beine auf dem Sofa zusammen und hört dann sehr genau zu. Sein Deutsch ist zwar fast akzentfrei, das Gespräch möchte er aber doch lieber in Englisch führen – er fürchtet um die Nuancen. Ende April porträtiert der Sänger, 2004 zum Commander of the Order of the British Empire geadelt, im Rahmen seiner Residenz bei den Elbphilharmonie Konzerten an drei Abenden seinen Landsmann Benjamin Britten, der vor 100 Jahren geboren wurde.

Hamburger Abendblatt: Herr Bostridge, bei Ihren Konzerten stellen Sie Britten Komponisten der Renaissance und des Barock gegenüber. Gibt es keine Beziehung zu Komponisten des 19. Jahrhunderts?
Ian Bostridge: O doch. Allerdings hat Britten manche Komponisten, die ihn in der Jugend beeinflusst haben, später gehasst. Ich glaube, Komponisten können sich nicht einen so breiten Geschmack erlauben wie normale Musiker. Britten liebte Schubert, Mozart, Verdi und Puccini.

Warum singen Sie keinen Verdi?
Bostridge: Weil ich keinen Verdi singen kann! (lacht) Natürlich hätte ich ein paar Lieder singen können, aber die sind nicht besonders interessant. Und ich singe nun einmal keine Verdi-Oper. Die Operntradition seit dem 19. Jahrhundert hat einen kraftvollen, lauten Gesang gefördert, der bei Rossini oder im Barock nicht vorkommt. So eine Stimme habe ich nicht. Manche halten mich ja nicht einmal für einen Tenor.

Wofür denn sonst?
Bostridge: Weiß ich nicht. Wenn man jemandem, der nicht sehr viel über Musik weiß, sagt, ich bin Tenor, dann sagt der: Ach, Sie singen „Nessun dorma“. Viele können sich gar nicht vorstellen, dass es noch andere Arten von Tenören gibt.

Schon mal heimlich davon geträumt, Siegfried zu singen?
Bostridge: Nein. (lacht)

Mögen Sie Wagner nicht?
Bostridge: Ich halte ihn auf Distanz. Oft sind nicht mal wirkliche musikalische Ideen in seiner Musik. Sondern: Wie wäre es, wenn wir immer weiter und immer weiter dieselbe Tonart spielten, länger als irgendjemand? Wagner ist eine Droge, und das finde ich nicht so gut.

Sie wollen die Kontrolle nicht verlieren?
Bostridge: Ich möchte sie jedenfalls nicht unter dem Einfluss von jemandem wie Wagner verlieren.

Was haben Sie gegen ihn?
Bostridge: Er war ein schrecklicher Mensch. Er hat so furchtbare Dinge über Juden geschrieben, und dann hat er Mendelssohn beklaut. Der Anfang vom „Rheingold“, das ist „Die schöne Melusine“, nur langsamer!

Wie kommt es eigentlich, dass Sie mit dem Deutschen so vertraut sind?
Bostridge: Ich hatte einen sehr guten Deutschlehrer. Er hat deutsche Lieder mit uns gemacht. Ich war richtig besessen von den Liedern und habe viel Fischer-Dieskau gehört. Von ihm habe ich die Aussprache gelernt. Aber er hat mir auch Stimmprobleme bereitet, weil ich immer seine Baritonlage hörte.

Wie hat sich die Besessenheit geäußert?
Bostridge: Das hat so mit 14, 15 angefangen. Schubert-Lieder passen zu diesem Alter. Wenn man unglücklich in jemanden verliebt ist, dann ist es sehr hilfreich, „Die schöne Müllerin“ zu hören. Die erfüllt die gleiche Funktion wie Popmusik. Es gibt Untersuchungen darüber, wie Schuberts Lieder das Muster für moderne Popsongs geprägt haben.

In England gibt es ja die Tradition der College-Chöre. Haben Sie in Ihrer Studienzeit in einem College-Chor gesungen?
Bostridge: Nein. Das ärgert mich immer, wenn Leute über mich schreiben, der Bostridge war in so einem Chor, das hört man ja. War ich nicht.

Und warum nicht?
Bostridge: Diese Chöre pflegen einen sehr homogenen Klang. Die Stimmen verschmelzen. Das ist mir nie leichtgefallen. Ich wollte individuell bleiben.

Wie halten Sie’s mit der Alten Musik? Die passt perfekt zu Ihrer Stimme.
Bostridge: Genau deshalb habe ich mich anfangs von der Szene ferngehalten. Ich wollte nicht in ein Kästchen gesteckt werden. Später habe ich den Reichtum der Monteverdi-Zeit entdeckt.

Das Repertoire ist ja das eine, die Gestaltungsweise das andere.
Bostridge: Was die Barockleute über Tonarten und Charaktere wissen, ist faszinierend. Man sollte nur nicht dogmatisch herangehen. Daniel Barenboim findet ja die ganze Originalklangbewegung Quatsch. Aber da hat er unrecht.

„Bostridge, Britten & Friends“ 26.4., 20.00, Laeiszhalle, Kleiner Saal (U Gänsemarkt), Eingang Gorch-Fock-Wall. Karten zu 11,- bis 45,- unter T.35766666; www.elbphilharmonie. Weitere Konzerte: „Bostridge, Britten & die Renaissance“ 28.4.; „Bostridge, Britten & Bach“ 30.4.