Der Maler Christian Rohlfs liebte Blumen und zeigte beseelte Landschaften. Jetzt kann man seine Werke im Wedeler Ernst Barlach Museum bewundern

Wedel. Ist das wahr? Ist diese abendliche Landschaft am See wirklich fertig? Oder hat nicht eben noch der Maler Christian Rohlfs einen weiteren kurzen Pinselstrich auf die vibrierende Oberfläche gesetzt? Es ist kaum zu glauben, wie begnadet dieser Künstler in seinen späten Jahren, als er schon ein alter Mann war, das Blau in allen dunklen Schattierungen hat aufleben lassen, nachtblau und schwarzblau, jede einzelne Welle des Lago Maggiore anders funkelnd, belebt von Rot und Braun und Weiß und Gelb. Das Spätwerk ist das eigentliche Wunder im Lebenslauf jenes Malers, der einen Tag, nachdem ihn die Nazis 1938 als „entartet“ gebrandmarkt hatten, mit 87 Jahren dem Leben entschlummerte. Mehr als 400 seiner Bilder fanden vor allem in Amerika reißenden Absatz, seine Witwe versuchte nach dem Krieg, das Oeuvre wieder zu versammeln. Das Ernst Barlach Museum in Wedel widmet Christian Rohlfs nun bis zum 14. Juli eine umfassende Ausstellung.

1955 stellte Arnold Bode auf der ersten Documenta in Kassel auch Bilder von Christian Rohlfs aus, denn viele Tendenzen in der abstrakten Malerei der Nachkriegszeit hat Rohlfs bereits in den 1920er-/30er-Jahren vorweggenommen. Weil er in kein Schema und in keine Schule passte, blieb er ein Außenseiter. Dabei begann seine Laufbahn als Maler noch im 19. Jahrhundert, mit wunderschönen akademischen Landschaften. Aber schon 1889 malte er einen frappierend ungegenständlichen Steinbruch, der allerdings nicht in Wedel zu sehen ist. Lange liebäugelte er mit den Impressionisten, dann mit den Expressionisten. „Eine Zeit lang, Anfang des 20. Jahrhunderts, hat er wie die Brücke-Künstler gearbeitet. Hinterher hat er das wieder völlig gelassen“, sagt Jürgen Doppelstein vom Barlach-Museum und zeigt die kunstvollen Holzschnitte im Untergeschoss.

Mit 51 Jahren trifft Rohlfs zum ersten Mal den Pointillisten Georges Seurat, und für kurze Zeit beginnt auch er, seine Bilder zu tüpfeln. Schnell lässt er das aber wieder sein, „sprengt die Enge der Manier und kehrt, ohne die gewonnenen Vorteile aufzugeben, zu dem verwegensten Farbenauftrag zurück“, wie sein großer Gönner und Förderer Karl Ernst Osthaus in einem Aufsatz klug beobachtet hat. Bilder der verschiedensten Epochen „finden im Naturgefühl ihr einigendes Band“. In den 1910er-Jahren hört er auf, in Öl zu malen, weil ihm das Material zu schwerfällig ist. Und immer wendet er sich der Natur zu, „freit um die Seele der Landschaft“, wie Osthaus schreibt.

Mit der Ausstellung in Wedel wollten Jürgen Doppelstein und Heike Stockhaus „eine Entwicklung zeigen, gegliedert in einzelne Themengruppen“. Diese aber überlappen sich, in jedem themenspezifischen Raum finden sich Verweise zu den anderen. Rohlfs liebte Blumen, und in zwei Räumen der Schau blühen und wuchern deshalb rote Amaryllis, Canna, gelbweiße Chrysanthemen, gelbe oder rote Tulpen. Seltsam entrückt blühen sie, wie zur Erinnerung an ihre flüchtige Schönheit. Und manche vor lebhaft wogenden, intensiv strukturierten Hintergründen.

Rohlfs' Bilder sind ungeheuer modern, wie aus ihrer Zeit gefallen

Die 1930er-Jahre, als Rohlfs schon ein alter Mann war und sich fast nur noch im Tessin in seiner geliebten Casa Margot aufhielt, sind seine wichtigsten. Hier wirft er alles ab, was noch an Konventionen an ihm haftet, hier experimentiert er schrankenlos und entfaltet seine wahre Meisterschaft: Das dicke Bütten bearbeitet er, nachdem er bereits Wassertempera aufgetragen hat, immer aufs Neue mit dem Lappen, er kratzt und schabt die Farbe wieder ab, schafft dadurch neue Valeurs, Dynamik, Transparenz oder Tiefe.

Man muss sich ein wenig die Augen reiben, wenn man die Zahlen 1930, 1933, 1937 unter seinen Bildern sieht – sie sind ungeheuer modern, wie aus ihrer Zeit gefallen. Das Bild der roten Cannas auf blass türkisfarbenem Grund hat Rohlfs wieder und wieder durchkratzt und mit frischer Farbe durchwischt, sodass man meint, man erblicke die Blume aus einem vorbeifahrenden Zug. Die blau schimmernde Mondlandschaft von Ascona aber – die scheint er hinter einer regennassen Scheibe gemalt zu haben. Still und fleißig malte der Mann, der zur Spitze der Avantgarde zählte, und der in seinem letzten Lebensjahrzehnt noch einmal alles gab, um Schönheit und schwankende Lichtstimmungen seiner Umgebung zu erfassen. Das Verrinnen der Zeit ist bei Rohlfs zugleich die Abwesenheit von Stillstand. Eine Wolke auf einem rotbraun sich erhebenden Berg türmt sich wie ein romantisches Fanal und ist zugleich schon so im Wandel begriffen, dass der Betrachter ein Gesicht darin zu erkennen meint. Oder doch nicht?

Christian Rohlfs Ausstellung Ernst Barlach Museum Wedel, Mühlenstraße 1 (S 1 bis Wedel), Di bis So, 11 bis 18 Uhr. Bis 14. Juli