Karin Neuhäuser inszenierte Wedekinds „Frühlings Erwachen“ im Thalia in der Gaußstraße

Hamburg. Frank Wedekinds „Frühlings Erwachen“ eignet sich im doppelten Sinn für angehende Schauspieler. Ihnen sind noch die Verwirrungen der Pubertät und Jugendnöte nahe. Und sie befinden sich mit den ersten Schritten vor Publikum im Lenz ihrer Laufbahn. Darum entwickelte sich der dramatische Erstling Wedekinds, 1890 geschrieben, zum Schauspielschul-Dauerbrenner schlechthin. Auch Karin Neuhäuser, eine Protagonistin des Thalia-Ensembles mit Regieerfahrung in Frankfurt/Main, am Staatstheater Kassel und Düsseldorfer Schauspielhaus, hat sich für das Abschlussprojekt mit dem 3. Jahrgang des Studiengangs Schauspiel an der Hamburger Theaterakademie für das einstige Skandal- und spätere Erfolgsstück vorgenommen. Wedeking thematisiert darin erste Sexerfahrungen, Abtreibung und Homosexualität, geißelt satirisch die Doppelmoral und Prüderie der Gesellschaft.

„Leise zieht durch mein Gemüt liebliches Geläute…“ Das Ensemble eröffnet mit dem Gruß an den Frühling von Heine und Mendelssohn Bartholdy den Abend im Thalia in der Gaußstraße. In seinem Verlauf wird auch weiterhin reichlich gesungen, was stark im Trend liegt. Zum einen spiegelt es gängige Theaterpraxis, zum anderen soll es die vielseitige Ausbildung demonstrieren. Der musikalische Leiter Matthias Stötzel bringt die stilistische Palette vom Volkslied bis zum Pop ins Spiel.

Kai Cassuben setzt in seiner Raumgestaltung den Druck ins Bild, der auf den jungen Leuten an der Schwelle zum Erwachsenwerden lastet. Über dem von Gazevorhängen umschlossenen Bühnenschlitz lastet ein dunkler Kubus, aus dem nur selten Licht fällt. Auf der neutralen Spielfläche skizzieren die Darsteller – Irene Benedict, Marie Jordan, Lea Nacken, Louisa Zander sowie Jasper Diedrichsen, Raphael Gehrmann, Jakob Geßner und Björn Meyer – mit Geräuschen, Vogelstimmen, pantomimischen Gesten Situationen und Stimmungen. Sie geben die Rollen von Melchior, Moritz und Wendla weiter oder übernehmen die Episodenfiguren.

Neuhäuser inszenierte eine Szenencollage zwischen vorgestern und heute. Sie konfrontiert Wedekinds zentrale Szenen zwischen den Gymnasiasten und deren Eltern mit aktuellen Texten von Tina Uebel bis zu Marie Darrieussecq, die in ihrem Debütroman „Truismes“ („Schweinerei“) den Weg der Frau zur Sau beschreibt. Die freizügige Sprache und den Jugendslang kontrastieren Regisseurin und Spieler mit der geschraubten wedekindschen Ausdrucksweise. Sie zeigen humorvoll und ironisch: Auch wenn ein Jahrhundert und Welten zwischen damals und heute liegen, die Probleme junger Leute sind doch dieselben geblieben.

Neuhäuser gibt den jungen Damen und Herren auch die Gelegenheit durch Theaterformen zu zappen. Sie zitiert Pina Bauschs Tanztheater „Kontakthof“ in der Version für Jugendliche. Die Jungen und Mädchen sitzen sich in Partykleidung auf Stuhlreihen gegenüber, äußern chorisch ihre Selbstzweifel und Sehnsüchte, um sich über Tanzstunden-Konvention lustig zu machen und den Dancefloor explodieren zu lassen. Statt seinen Masturbationsmonolog zu spielen, zieht Hänschen Rilow ein Mikro aus der Hose und singt über Schuldgefühle. Den Auftritt des Malermodells Ilse, die unbekümmertes Leben, die Liebe und Lust verkörpert, reflektiert die Regisseurin im Monolog der Grisette Marion aus Büchners „Dantons Tod“.

Darin liegt aber auch eine Schwierigkeit ihrer Inszenierung. Sie überfordert die jungen Schauspieler mit Brüchen und Sprüngen in die Figuren. Ihnen fehlt noch die Erfahrung, diese in der Kürze auszufüllen, sie behelfen sich mit Karikatur oder oberflächlichen Ausbrüchen. Nur in einigen Szenen finden sie zu persönlichem Ausdruck. Doch im formalen Rahmen eroberten sie sich mit Charme, Präsenz und Musikalität ihres schauspielerischen Jugendfrühlings Kollegen und Publikum.

19.5., 19 Uhr

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