Mit der Nummernrevue „Ritt in die Sonne“ verabschiedet sich das Schauspielhaus-Ensemble aus der Ära Kurfess. Zum Abschied war es ein bisschen wie im Wilden Westen.

Hamburg. Wer Schauspieler an einem Theater ist, muss zum Abschied nicht leise „Servus“ sagen, sondern kann auf der Bühne noch mal Spaß haben, dem Affen Zucker geben oder loswerden, was er immer schon mal sagen wollte. Es hat ja keine Folgen, die meisten werden die Stadt verlassen. Es ist ein bisschen wie im Wilden Westen, wo jeder Treck sich ein Terrain suchen und alles neu aufbauen muss.

Samuel Weiss, der seit 2001 zum Ensemble des Schauspielhauses gehört – also noch von Tom Stromberg geholt wurde – und der auch zum Team der neuen Intendantin, Karin Beier, zählen wird, ließ am Sonnabend, zum Ende der Ära von Schauspielhaus-Chef Jack Kurfess 14 seiner Kollegen in Wild-West-Klamotten als Abschiedsgruß Lieder singen, lästern und lustig sein. Geheime Leidenschaften kamen da zum Vorschein, Verzweiflung über Regieeinfälle oder auch die ganz normalen Tücken des Schauspieler-Seins, wenn es um schnelle Umzüge oder Stimm- und Atemübungen geht. „Ritt in die Sonne“ heißt der Abend, an dem die Schauspieler als Cowboys alles hinter sich lassen. Ein Tresen, viele Whiskyflaschen und ein elektrischer Bulle genügen, um Abschiedsschmerz und Streitereien ebenso aufleben zu lassen wie Spaß und Mühsal der Ensemblearbeit. Eine kurzweilige Nummernrevue, deren Entstehung den Mitspielern offensichtlich großen Spaß gemacht hat, ist so entstanden. „Wir wären gerne Helden, die aus der Stille kommen, ein Problem lösen und dann wieder in der Stille verschwinden“, heißt es über diese Vorstellung. Aber zum Helden taugen hier wirklich nicht alle. Denn man sieht auch wieder, was die größte Krux dieses Teams war, von denen viele noch vom vorigen Intendanten, Friedrich Schirmer, engagiert worden sind: Es sind auch Schauspieler dabei, die diese große Bühne nicht im Entferntesten ausfüllen können, selbst, wenn sie nur eine einzige Soloszene haben.

Michael Prelle, der die Bühne in Ritterrüstung betritt, zählt nicht dazu. Er schwitzt, unter der Rüstung trägt er Frack. Und er erzählt, wie „ein junges, aufstrebendes Regietalent“ ihm in Kleists „Käthchen von Heilbronn“ verordnet hatte, im vorletzten Bild der Inszenierung in Ritterrüstung zu erscheinen. Im letzten Bild, Sekunden später, sollte er dann im Frack auf der Bühne stehen: „Natürlich macht man das, auch wenn es keinen Sinn ergibt, man will ja nicht als schwieriger Schauspieler gelten.“ Und so führt er, mithilfe seines Garderobiers vor, wie er sich schnellstmöglich und mühevoll aus der Rüstung schälen musste und doch immer zu spät kam. Eine herrliche Lachnummer.

Saukomisch ist auch Tristan Seith, ein Bär von einem Mann, der im King-Kong-Kostüm auftritt und Schubert singt. Genauso sei es gewesen, sagt er. Er wollte Zartes zeigen, das in ihm lauert, doch man ließ ihn immer nur das Tier sein. Als Schirmer ihn engagierte und fragte, was er gerne spielen wolle, nannte er Ibsen, Tschechow, Strindberg. Nie sei es dazu gekommen, dass er mal etwas Gefühlvolles habe spielen oder sagen können. Jeder Herzenserguss musste gebrüllt werden. Oder er sollte essen. Schließlich sieht er ja dick aus. Also ließ man ihn eine Liebeserklärung machen, indem er mit einem winzigen Messer auf riesige Melonen einstechen musste, die er anschließend natürlich noch verschlingen musste. King-Kong-mäßig eben. Großes Gelächter. Unter Regieeinfällen mögen gelegentlich die Zuschauer leiden. Die Schauspieler tun’s aber auch.

Zu Beginn saßen alle Darsteller am Tresen und sprachen im Chor: „Wir sind die, welche dachten, es würde immer weitergehen.“ Zehn Minuten lang geht’s chorisch weiter, neun Männer und fünf Frauen in Cowboykluft, die über Raumfahrt und Kalifornien sinnieren oder übers Schwarz-Weiß-Fernsehen. Später, nachdem die Melodie aus „Spiel mir das Lied vom Tod“ erklungen ist, klettern sie auf Leitern in die Logen, schauen einander zu, kommentieren, was geschieht. Denn nun kann jeder erzählen, warum er Schauspieler geworden ist, was er erlebt hat, was er kann. Martin Pawlowsky, seit mehr als 30 Jahren am Schauspielhaus, singt Zarah Leander, Maria Magdalena Wardzinska fragt: „Wie lange dauert eine Minute, wenn ich mir vorstelle, ich bin nackt?“, Samuel Weiss erklärt, was ihm ‚method acting‘ gebracht hat und Julia Nachtmann erinnert sich mit einem Teddy an ihre erste Rolle im Jungen Schauspielhaus. Nicht alles, was man hört und sieht, ist amüsant. Schade eigentlich, denn es gibt kaum etwas Schöneres auf der Welt als Theateranekdoten.

Die musikalische Begleitung von Johannes Wendrich stimmt immer. Katja Danowski singt Asaf Avidans „One Day“ und reitet dazu selig auf dem elektrischen Bullen. Die Zuschauer juchzen, wie bei fast allem. Schön ist der Auftritt Martin Wißners, der gefühlte zwei Dutzend Rollen aufzählt und die Textstellen vorspielt, in denen er „Vater“ oder „meine Eltern“ zu sagen hatte. Juliane Koren ist in einem Film zu sehen, in dem sie „Dornröschen“ spielte, nun, Jahrzehnte später, sitzt sie davor und singt Chansons. Manchmal vergeht die Zeit nur äußerlich. Und Hanns Jörg Krumpholz macht mit nacktem Oberkörper Stimmübungen vor, als handele es sich um ein Fitness-Programm.

Am Ende sitzen Martin Wißner und Janning Kahnert am Tresen und besaufen sich. Der eine labert vom Weltraum und vom Vergehen der Zeit, der andere hört zu und sagt fast nichts. Bis auf ein: „War schön“. Zu Ende ist’s. Es war ein launiger, kein großer Abend. Komischer als das, was uns in den letzten acht Jahren hier gezeigt wurde. Aber mehr auch nicht. Freuen wir uns also auf das Startwochenende des neuen Ensembles Mitte November. Karin Beier hat kraftvolles Theater versprochen. Endlich.

Letzte Vorstellung/Saisonende: 27.4., 20.30 Uhr

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