Die Schau „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“ widmet sich in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme dem Leid in Afrika und Asien. Wanderausstellung konfrontiert Besucher mit einem Haufen von erschreckenden Fakten.

Hamburg. Wir Europäer haben gelernt, dass der Zweite Weltkrieg am 1. September 1939 mit dem Überfall der Nazi-Truppen auf Polen begann und am 8. Mai 1945 mit der Kapitulation Deutschlands endete. Es gibt jedoch eine ganze Reihe von Sozialwissenschaftlern und Historikern, die dieser eurozentrischen Sicht widersprechen. Für sie hat der Weltkrieg bereits 1935 in Afrika begonnen, als Italien das heutige Äthiopien angriff und 1936 annektierte. In Asien startete Japan im Juli 1937 eine Invasion in China, die bis zum September 1945 andauerte und in deren Folge 14 Millionen Chinesen den Tod fanden. Nach dieser Auffassung ist auch die Behauptung falsch, das der Zweite Weltkrieg erst durch den Angriff der Japaner auf Pearl Harbor im Jahr 1941 auf Asien übergriff, er markierte lediglich den Eintritt der USA in den Weltenbrand. Millionen von Soldaten in Afrika, Asien und Ozeanien waren an diesem Krieg beteiligt, als rekrutierte Hilfskräfte der Achsenmächte Deutschland, Italien und Japan oder als freiwillige Kämpfer aufseiten der alliierten Truppen.

In der KZ-Gedenkstätte Neuengamme läuft bis zum 30. Juni eine Ausstellung, die sich mit dieser Problematik beschäftigt und sie mit Fotos und Texten, an Hörstationen und mit Videos ausführlich dokumentiert. „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“ heißt die Sonderausstellung, die von Recherche International Köln zusammengestellt worden ist und schon in mehr als 20 deutschen Städten gezeigt wurde. Recherche International ist ein Zusammenschluss von Journalisten und Wissenschaftlern, der seit 1988 in einem Langzeitprojekt die Folgen des Weltkriegs auf die Dritte Welt untersucht. Die Wanderausstellung des Kollektivs konfrontiert den Besucher mit einem Haufen von zum Teil erschreckenden Fakten. Zum Beispiel starben bei der Befreiung der philippinischen Hauptstadt Manila von den japanischen Besatzern mit 100.000 Zivilisten mehr Menschen als bei den Bombardements auf Berlin, Köln und Dresden.

Zur Eröffnung der Sonderausstellung im Südflügel der ehemaligen Walther-Werke auf dem Gelände der Gedenkstätte war auch Karl Rössel angereist, der mit einem kenntnisreichen Vortrag in das Thema einführte und die Methode seiner Arbeit beschrieb. In 30 afrikanischen und asiatischen Ländern hat seine Gruppe recherchiert und dort mit einheimischen Wissenschaftlern zusammengearbeitet, „um von einer weißen Sicht wegzukommen“, sagte er. Rössel ging auch noch einmal auf den Konflikt ein, den es 2009 in Berlin um die Ausstellung gab. Damals musste sie kurzfristig von der Neuköllner „Werkstatt der Kulturen“ an einen anderen Ort verlegt werden. Hintergrund war die Forderung der „Werkstatt“-Leiterin, drei Schautafeln zu entfernen, auf denen die Kollaboration zwischen Palästinensern und Nazis gezeigt wurde. Der in Afrika operierende General Erwin Rommel hatte den Auftrag, 100.000 in Palästina lebende Juden zu vernichten, Palästinenserführer Mohammed Amin al-Husseini half ihm dabei, indem er Moslems für die Waffen-SS rekrutierte. In Hamburg sind diese Tafeln zu sehen, die belegen, dass es auch außerhalb Europas massive Judenverfolgung gab.

Ausführlich dokumentiert die Ausstellung auch das Leid der — welch ein verharmlosender Begriff — sogenannten „Trostfrauen“. Das waren junge Frauen und Mädchen aus China, Korea und Indonesien, die in japanische Militärbordelle verschleppt wurden und dort täglich mehrfach vergewaltigt wurden. Erst 1991 wurde die Praxis öffentlich, inzwischen hat sich ein großes Netzwerk der überlebenden Opfer gebildet. In Neuengamme hängt ein großes Plakat mit 44 Porträts der Frauen. Jede von ihnen blickt selbstbewusst in die Kamera, trotz ihres Traumas scheinen sie ihre Würde bewahrt oder wiedergefunden zu haben.

Weithin unbeachtet ist auch geblieben, welche massiven Zerstörungen der Zweite Weltkrieg bis heute in Ozeanien angerichtet hat. Karl Rössel erwähnte hier die ehemalige deutsche Kolonie Neuguinea, wo sich Japaner und Amerikaner erbitterte Gefechte lieferten und es Tausende von Toten unter der Zivilbevölkerung gab. Rössel kritisierte den Fernseh-Historiker Guido Knopp, der in einer ZDF-Dokumentation über den Zweiten Weltkrieg den Krieg in Asien auf japanische Kamikaze-Flieger und kämpfende US-Marines reduziert und über die pazifische Inselwelt gesagt habe, dass sie weitgehend unbewohnt sei. Allein auf Neuguinea hätten zwei Millionen Insulaner gelebt, so Rössel.

Auf allen Kontinenten haben Menschen gegen die Faschisten gekämpft. Doch in der öffentlichen Wahrnehmung und der europäischen Geschichtsschreibung sind diese Aspekte vergessen oder nicht ausreichend bekannt. Die Ausstellung in Neuengamme zeigt eine Reihe von Schicksalen und macht die Realitäten bewusst. Dass die Soldaten aus der Dritten Welt sich später als Kämpfer zweiter Klasse fühlen mussten, verdeutlicht ein Zitat des Veteranen Issa Ongoeba aus Mali: „Für die Franzosen sind wir die kleinen Negersoldaten, die mit einem läppischen Trinkgeld abgespeist werden. Aber im Krieg machen die Kugeln keinen Unterschied zwischen Schwarzen und Weißen. Alle sterben denselben Tod.“

„Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“ bis 30.6. in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme Mo–Fr 9.30– 16 Uhr, Sa/So 12–19 Uhr, Ausführliches Begleitprogramm: www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de