Hans Werner Henzes dramatische Kantate „Opfergang“ in der Laeiszhalle

Hamburg. Tiere sind auf der Opernbühne immer noch unterrepräsentiert. Wenn sie vorkommen, dann als Staffage – dass sie zum handelnden Personal gehören, ist mindestens ungewöhnlich. Hans Werner Henze hat es 2009 in seiner dramatischen Kantate „Opfergang“ gewagt, ein Hündchen zum Protagonisten zu machen. Das Werk ist zwar nicht als Bühnenstück etikettiert, aber der expressionistische Text von Franz Werfel und die bildhafte Musik setzen die Szene im Kopf des Hörers umso entschiedener in Gang.

In der Laeiszhalle hat das Hündlein, wie es bei Werfel und Henze heißt, einen denkbar würdigen Interpreten gefunden: Der britische Tenor Ian Bostridge schlüpfte im Rahmen seiner Residenz bei den Elbphilharmonie-Konzerten in die Rolle. 2010 hat er bereits in Rom an der Uraufführung mitgewirkt. Mit dabei war in Hamburg wie damals das römische Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter der Leitung von Antonio Pappano, das Henze den Kompositionsauftrag erteilt hatte – übrigens den einzigen, den der Wahlitaliener je von einer italienischen Institution bekam.

Wie bewegend dieser Moment für alle Beteiligten gewesen sein muss, davon war ein halbes Jahr nach dem Tod des Komponisten noch immer einiges zu spüren. Man konnte kaum anders, als sich dem Sog dieser klanglich überaus vielgestaltigen Musik zu überlassen: dem dunklen Wabern der Klarinetten, die das nächtliche Flussufer beschworen, oder auch den beißenden Sekundreibungen im Blech, die von ferne an Mahler gemahnten und die Seelenqualen des „Fremden“ ausmalten. John Tomlinson stellte ihn zum Fürchten naturalistisch dar, diesen verbiesterten, wütenden Einsamen, auch er nicht gerade ein wohlfeiler Held für ein Bühnenstück. Bostridge sang den Part des Hundes, der auf halber Strecke sein Leben lässt und fortan als liebender Geist um seinen Mörder ist, so klar und nobel, dass deutlich wurde: Dieses Tier war nichts zweckfrei Niedliches. Es war die Verkörperung eines menschlich-christlichen Werts, der Vergebung.

Bei Tschaikowskys „Pathétique“ nach der Pause folgten die Musiker Pappanos unkonventionellem Dirigat so mühelos, als würden sie einander schon Jahrzehnte kennen. Auch wenn gelegentlich ein Anschluss klapperte: Wie Pappano diese Musik unter Spannung setzte, das ließ keinen Wunsch offen. Ein bewegender Abend.