Ein Plädoyer von Joachim Mischke

„Überall wo es Schwätzer, Schurken, Sensationsgierige, Diebe, Blödmänner gibt, sind sie alle furchtbar fromm.“ Eine Meinung, die auf die Situation in vielen Ländern passen könnte. Doch sie war nur auf ein Land bezogen, per Twitter verschickt hat sie der türkische, weltweit bekannte Pianist Fazil Say. Es war nicht das erste Mal, dass Say sich kritisch über scheinheilige Zustände in seiner Heimat äußerte, die sich noch am Rand der EU befindet. Und weil der Atheist außerdem ein etwa 1000 Jahre altes persisches Gedicht zitiert hatte, in dem es unter anderem heißt: „Ist das Paradies denn eine Schänke?“, wurde er jetzt in Abwesenheit von einem Instanbuler Gericht wegen Beleidigung des Islam zu zehn Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt.

Man muss Says Meinung über frömmelnde Fundamentalisten und die konservative Regierung nicht teilen. Obwohl sie, bezogen auf seine Ankläger, durchaus sympathisch wird, wenn man weiß, dass sie ihn zum Autisten abstempeln wollten, weil er nicht in ihren schlicht gestrickten Kram passt. Aber man muss sich darüber empören, dass ein türkisches Gericht Meinungsfreiheit derart plump ignoriert. Der für den EU-Beitritt zuständige Minister sagte über Say: „Was er jenseits seiner Kunst von sich gibt, ist absoluter Schwachsinn.“ Da hat offenbar jemand noch Nachholbedarf in Sachen Gerechtigkeit. Was Say jenseits seiner Kunst von sich gibt, ist sein gutes Recht.