Diplom-Restauratorin Beatrix Alscher repariert das Spiegelteleskop von 1911 der Hamburger Sternwarte. “Handlungsbedarf war groß“.

Hamburg. Es ist Hightech von 1911, mit der sich Beatrix Alscher 2012 beschäftigt hat. Die auf technisches Kulturgut spezialisierte Diplom-Restauratorin hat mit Kollegen intensiv am Einmeter-Spiegelteleskop der Hamburger Sternwarte in Bergedorf gearbeitet. "Wir hatten praktisch jede Schraube einmal in der Hand", sagt sie. "Der Handlungsbedarf war groß. Das Instrument war in einem sehr kritischen Zustand, Rost und Staub rieselten bereits in Mechanik und Optik. Es hätte nicht mehr lange gedauert, bis das Teleskop unbrauchbar gewesen wäre."

Das wäre ein schwerer Verlust, nicht zuletzt wegen eines ambitionierten Vorhabens. Die Hamburger Sternwarte, die 1911 von St. Pauli auf den Bergedorfer Gojenberg verlegt wurde und Heimat der Astrophysiker der Universität Hamburg ist, soll nämlich als wissenschaftshistorisch bedeutsames Ensemble für das Unesco-Welterbe vorgeschlagen werden. Ein erster Schritt könnte die Entscheidung der deutschen Kultusministerkonferenz über die Bewerbung im Jahr 2014 sein.

Dem Einmeter-Spiegel kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, denn er ist ein einzigartiges Instrument. Das Teleskop war seinerzeit das viertgrößte weltweit und das erste große Spiegelteleskop, das die Firma Carl Zeiss gebaut hat.

Lichtstarke Spiegelteleskope stehen als Nachfolger der alten Linsenteleskope für den Übergang vom Zeitalter der klassischen Sternenbeobachtung und -vermessung zur Ära der modernen Astrophysik. "Der Hamburger Einmeter-Spiegel ist europaweit das einzige Instrument seiner Art, das sich in einem vergleichsweise originalen Zustand befindet und bis heute benutzt wird. Das macht ihn so interessant für das Welterbe", sagt Alscher.

Kaum jemand kennt das Bergedorfer Teleskop so gut wie die Expertin aus Berlin. Thema ihrer Diplomarbeit war ein Konzept zu seiner Erhaltung. Sie war also die ideale Kandidatin, als der Förderverein - nach der Sanierung von Kuppel- und Nebengebäude - auch die Restaurierung des darin untergebrachten Spiegelteleskops in Auftrag geben konnte. 150.000 Euro wurden zu diesem Zweck benötigt und gesammelt. Beatrix Alschers Konzept folgt einer Restaurierungsethik, die den Welterbekriterien der Unesco entspricht. "Man hätte das Teleskop auch von Zeiss komplett überholen lassen können. Dann würde es wieder wie neu aussehen. Doch es geht bei historischem Kulturgut nicht darum, es in neuem Glanz zu präsentieren - Authentizität und Integrität des gealterten Zustands sollen erhalten werden. Der Betrachter muss spüren, dass das Gerät alt ist, sonst entsteht ein falscher Eindruck. Der Anspruch unserer Arbeit ist deshalb, nicht nur zu erhalten und zu konservieren, sondern auch, die Veränderungen im langen Gebrauch zu dokumentieren", sagt die Restauratorin.

Die Arbeit beginnt mit einer Bestandsaufnahme, erzählt sie: "Der Zustand wird fotografisch dokumentiert, mechanische Funktionen werden überprüft, Material und Beschichtungen analysiert. So entsteht nach und nach eine Art Gebrauchsanweisung - je tiefer ich in den Prozess des Beschreibens gehe, desto mehr erkenne ich Besonderheiten des Instruments und verstehe es."

Auf der Außenhaut der schweren Teile aus gewalztem Stahl beziehungsweise Gusseisen wurden bis zu neun Farb- und Menninge-Schichten teilweise freigelegt, um erkennbar zu machen, wie sich das Teleskop im Lauf der Zeit verändert hat. Das Ergebnis ist eine sogenannte Beschichtungstreppe als Sichtachse, auf der sich unterschiedliche Zeitstufen abheben.

Echten Substanzverlust gab es nur dort, wo der Rost bereits offen lag und tiefere Schichten bei der Sanierung nicht mehr zu retten waren. Anderswo dagegen konnte quasi subkutan gearbeitet werden, beschreibt Beatrix Alscher: "An Bauteilen, die sehr alte Beschichtungsebenen zeigen, haben wir den Lack gefestigt und verwitterte Lackoberflächen so erhalten, wie sie sich zeigen. Da haben wir beispielsweise fragile Lackschollen mit thermoplastischen Klebstoffen unterspritzt und mit einem Heizspatel angelegt, den Rost darunter also eingebunden und versiegelt und damit den Oxidationsprozess unterbrochen."

Am wichtigsten war es, die Mechanik und Elektrik so zu überholen, dass das Teleskop weiterhin voll funktionsfähig bleibt. "Eine eiserne Regel lautet: Never change a running system! Man muss die zu restaurierenden Objekte so weit wie möglich klar zerlegen, aber dabei immer im Blick haben, dass das, was funktioniert hat, auch weiterhin funktionieren sollte", erzählt Alscher, die das historische Instrument im wahrsten Sinne des Wortes zu begreifen gelernt hat.

Die Restauratorin, die Goldschmiedin lernte, bevor sie an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft studierte, ist begeistert von einer Technik. Mit deren Hilfe lassen sich tonnenschwere Lasten mit Leichtigkeit führen: "Die Entlastungsmontierung ist ein kleines Wunder. Ausgleichsgewichte halten das ganze Gerät in Balance, sodass die Achsen komplett entlastet sind und das Teleskop mit einer Hand bewegt werden kann", erklärt sie.

In diesem Frühjahr wird der Förderverein das restaurierte Instrument in einem feierlichen Akt an die Universität übergeben. Wer Glück hat, kann es schon jetzt bei der Langen Nacht der Museen am 13. April oder auf einer der regelmäßig stattfindenden Wochenendführungen besichtigen. Auf Beatrix Alscher könnte noch weitere Arbeit zukommen: Die problematische Klimafrage im unbeheizten Kuppelgebäude muss noch gelöst werden. Als ideal erscheint eine elektronisch gesteuerte Belüftung. Das wäre ein neuer Auftrag - und eher Hightech von heute.