Wer ist Karin Beier, die eine so herausragende Rolle an deutschen Bühnen spielt? Neue Künstlerbiografie stellt künftige Intendantin vor.

Hamburg. Wenn Karin Beier im Herbst dieses Jahres das dann hoffentlich technisch erneuerte Deutsche Schauspielhaus wieder eröffnet, fängt in Hamburg eine neue Ära an. Eine von vielen Zuschauern sehnlichst erwartete Zeit, in der eine neue Intendanz beginnt. Zum ersten Mal in der mehr als 100-jährigen Geschichte des größten deutschen Sprechtheaters wird eine Frau das Haus leiten. Karin Beier, geboren in Köln und Tochter einer englischen Mutter und eines Lehrers, macht seit ihrer Schulzeit Theater. Ästhetisch konsequent, charmant und beharrlich. Eine vielfach preisgekrönte Regisseurin, die in den vergangenen Jahren Intendantin an dem zuvor verschlafenen Schauspiel Köln war und es zu künstlerischen Höhepunkten führte.

1985, mit 20 Jahren, hat Beier ihre erste eigene Theatergruppe gegründet. 1992 inszenierte sie zum ersten Mal am Stadttheater, am Düsseldorfer Schauspielhaus. Ihre Karriere führte sie zu vielen bedeutenden deutschsprachigen Bühnen. Dem Schauspielhaus hängt der Ruf an, es würde Intendanten killen, weil es so groß und so schwer zu leiten sei - in den vergangenen 50 Jahren, in der Zeit nach Gustaf Gründgens, gab es hier 13 Intendanten und Interimsintendanten, mehr als an jedem anderen deutschen Theater. Nun wird die 47-jährige Karin Beier es wohl mit jener Leidenschaft und Risikofreude leiten, die ihr gesamtes Arbeitsleben prägte.

Beier, in jungen Jahren als Theaterwunderkind gefeiert, in späteren als Spezialistin für aussichtslose Fälle, präsentiert nie Langweiliges. Sie arbeitet mit Improvisation, hoher Einsatzbereitschaft, strenger Disziplin, sie sucht und findet in der Gruppe, aber am Ende ist es immer sie selbst, die alle Verantwortung übernimmt, die wählt, bestimmt, entscheidet, ausprobiert. Karin Beier scheint - zumindest, was die Arbeit angeht - eine furchtlose Frau zu sein.

"Spiegel"-Autor Wolfgang Höbel hat soeben ein Buch über Karin Beier und ihre Arbeit veröffentlicht, die Künstlerbiografie "Den Aufstand proben" (Kiepenheuer und Witsch). Beiers Leistungsdenken, ihre Einflüsse und Vorbilder, ihre Arbeitsmethoden, ihre Prägungen werden darin ausführlich beschrieben und erklärt. Ihre Arbeit sei "ein Kniefall vor dem Medium Theater", sagt Beier selbst.

Karin Beier war Schülerin, als Jürgen Flimm in ihrer Heimatstadt Köln das Theater leitete und sie ihre Leidenschaft für die Bühne entdeckte. Flimms Schauspielstars, "das waren meine Götter der Jugend", erzählt Karin Beier und nennt Namen wie Hans-Christian Rudolph und Wolf-Dietrich Sprenger - Schauspieler, die sie heute noch in Hamburg antreffen kann. Ob sie sie engagieren wird, zumindest für eine Gastrolle, wer weiß?

"Das Dunkle, Unkontrollierbare, Rauschhafte mischt sich mit der Lust am Geistigen, Sprachlichen, Anstrengenden", sagt Beier, wenn sie erklärt, warum sie seit mehr als zwei Jahrzehnten ans Theater gefesselt ist. 1986 gründete sie mit ein paar Anglistik-Studenten die freie Theatergruppe Countercheck Quarrelsome. Der Titel ist ein Zitat aus Shakespeares Komödie "Was ihr wollt". Sie wollten Shakespeare in Originalsprache aufführen und brachten in knapp fünf Jahren neun "hemmungslos verspielte, fröhlich aufgedrehte Aufführungen" zustande. Die Rollenverteilung war von Anfang an klar: Beier führte Regie, die anderen waren Schauspieler und dramaturgische Gesprächspartner. Heute sagt Beier, sie habe sich führen lassen von "Ahnungen, Gefühlen und jugendlicher Unverschämtheit". Aber die in Gruppenarbeit entwickelten Techniken wird sie auch als professionelle Regisseurin beibehalten: das Improvisieren, die genaue Analyse, die Gruppendisziplin.

Ähnlich wie der spätere Bundeskanzler Gerhard Schröder, der am Kanzleramt gerüttelt haben soll, stand Beier in jungen Jahren vor dem Schauspiel Köln und behauptete: "Irgendwann übernehme ich das mal."

Zunächst wird der Düsseldorfer Intendant Volker Canaris auf sie aufmerksam und bietet ihr ihre erste Inszenierung im Stadttheater an. 1992 inszeniert sie die Uraufführung von George Taboris "Die 25. Stunde". Chefdramaturg damals: Joachim Lux, der heutige Intendant des Thalia Theaters. Mit ihm verbinden Beier viele gemeinsame Arbeiten, auch aus der Zeit, als sie am Wiener Burgtheater inszenierte und er dort Dramaturg war. Nun werden die beiden in Hamburg Konkurrenten. Aber dann wiederum auch nicht. Zehn Jahre haben sie gemeinsam gearbeitet. "Wir sind wie ein altes Ehepaar", hat Beier kürzlich im Abendblatt-Interview erklärt. Sie wohnen in Hamburg auch nicht weit voneinander entfernt und tauschen sich regelmäßig aus, natürlich auch über Künstler und Programme.

"Die Kunst, der Karin Beier als Regisseurin auch im Stadttheater treu geblieben ist, beruht auf dem Grundsatz, dass eine lebendige Theaterarbeit ihre Hauptenergie nicht auf die wortgetreue Umsetzung literarischer Vorlagen richten sollte, sondern auf Spiel, Improvisation, Musik", schreibt Wolfgang Höbel über die Künstlerin. Schnurstracks geht sie ihren Weg. An den Arbeiten anderer Regisseure ist sie nicht sonderlich interessiert, sie ist selbstbewusst, zuversichtlich, sie lebt "fast im und nur fürs Theater". Karin Beier sagt, sie sei "durch extreme Leistungsorientierung geprägt worden". Sie birst vor Ideen und erwirbt sich den Ruf einer "Entertainerin, die scheinbar mühelos auch große Häuser füllt".

Ausschlaggebend war vor allem ein Einfall. Karin Beier hatte 1995 die Idee, mit 14 Schauspielern in neun Sprachen Shakespeares "Sommernachtstraum" aufzuführen, einen polyglotten, "europäischen" Shakespeare, der so mitreißend poetisch und dann auch politisch all die Verwirrungen zeigt, die uns nicht nur in der Liebe begegnen, dass sie damit einen großen Siegeszug durch die deutschsprachigen Theater antrat.

Ähnliche Projekte hat sie auch danach verfolgt. Beier setzt auf Internationalität, ihr Kölner Ensemble bestand zur Hälfte aus multinationalen Schauspielern. "Die Auseinandersetzung mit den Träumen, Flausen, Ängsten der eigenen Generation war ein zentrales Motiv in vielen von Karin Beiers Inszenierungen", heißt es bei Wolfgang Höbel. Beier inszenierte an großen Theatern wie der Wiener Burg, sie inszenierte Opern und gewann jede Menge Preise. Sie wurde "Nachwuchsregisseurin des Jahres", in den 90er-Jahren Hausregisseurin am Deutschen Schauspielhaus. Später gewann sie den Nestroy-Theaterpreis und den "Faust". 2007 wurde sie Intendantin am Schauspiel Köln. Ihre Inszenierungen dort wurden als "Beste des Jahres" ausgezeichnet, ihr Theater als "Bestes in Deutschland". Mehr geht kaum. Schauen wir mal, wie es in Hamburg weitergeht.

8. April: Buchvorstellung, Literaturhaus Schwanenwik; die Veranstaltung ist bereits ausverkauft.