Der Traum, selbst ein Instrument zu spielen: durch die Veeh-Harfe wird er wahr, auch für Spätberufene

Hamburg. Inge Kemme ist eine lustige Frau. Wenn sie erzählt, tanzen ihre Hände immer euphorisch durch die Luft. Meist werden ihre Sätze mit einem Kichern begleitet. Und auch die 74-Jährige selbst - halblange, graue Haare und Brille - steht manchmal auf und tänzelt durch den Raum, wenn sie erzählt, wie das damals alles anfing mit ihr und der Musik. Ihr Leben lang hatte die in Harburg lebende Rentnerin ein Instrument lernen wollen, sich aber nie getraut. Hinzu kam ein nicht unerheblicher Hörschaden - ohne Hörgeräte hat sie es schwer. Dennoch sprang sie eines Tages vor vier Jahren über ihren Schatten und ging zu einem Anfängerseminar für eine sogenannte Veeh-Harfe, ein sehr junges Instrument, das erst 1987 entwickelt wurde.

Hermann Veeh, ein Rübenbauer aus Mittelfranken, hatte die Harfe damals für seinen jüngsten Sohn gebaut, der mit Down-Syndrom zur Welt gekommen war. Zehn Jahre hatte Veeh daran getüftelt, wie auch Menschen mit Behinderung ein Instrument spielen und einen Zugang zur Musik bekommen können. Er entwarf ein Schablonensystem. Man muss keine Noten lesen können. Die Schablonen werden zwischen Saiten und Resonanzkörper geschoben. Sie zeigen an, welche Saite wann und wo gezupft werden muss. Das Prinzip lässt sich binnen zehn Minuten verstehen.

Auch Inge Kemme legte ihre Scheu schnell ab. Und als die Seminarleiterin ihr sagte, dass sie ganz wunderbar spielen würde, war ihre Entscheidung gefallen. Auch der Zeitpunkt war damals günstig: Eine Versicherung war fällig zur Auszahlung. Wenige Tage später kaufte sie sich ein Trampolin und eine Harfe. Ein Modell für Einsteiger aus Ahorn und Ebenholz kostet heute rund 640 Euro. Etwas günstiger ist die sogenannte Zauberharfe, auch sie wird mit Schablonen gespielt, auch sie kann im Sitzen oder Stehen gezupft werden.

Kürzlich hat sich eine 99-Jährige eine Veeh-Harfe zugelegt. Musikalische Späterziehung. In Süddeutschland wird das Instrument längst in Seniorenheimen und auch in Hospizen gezupft, denn der Klang der Harfe kann auch Demenzkranken helfen, sich wieder zu öffnen. In diesem Jahr soll es zudem eine Studie geben, die die Wirkung auf hyperaktive Kinder dokumentiert.

Inge Kemme spielt fast täglich. Setzt sie mal einen Tag aus, fehlt ihr etwas. Sie sagt: "Der Klang der Harfe verändert mich." Gemeinsam mit ihrer Freundin Verena Hinzmann trifft sie sich einmal im Monat im Wohnzimmer, um im Duett zu musizieren. Zunächst fingen sie an mit Kinderliedern wie "Fuchs, du hast die Gans gestohlen". Sie machten schnell Fortschritte. Heute haben sie auch viele klassische Stücke von Beethoven, Bach oder Händel im Repertoire. "Die Töne berühren die Seele", sagt Verena Hinzmann. "Ich fühle mich immer wie weichgespült, so zart wie Pergamentpapier." Wenn sie am Abend erschöpft und gleichzeitig überdreht von der Arbeit kommt, nimmt sie sich oft eine halbe Stunde mit ihrer Harfe, um zu entspannen. Auch sie sagt: "Dass ich noch einmal ein Instrument spielen würde, hätte ich nicht für möglich gehalten. Und es gibt ja ganz viele Menschen wie mich, die mit Noten nichts anfangen können, aber gerne Musik machen würden."

Zurzeit gibt es etwa 30 Veeh-Harfen in Hamburg. Nicht viel im Vergleich zu Süddeutschland, wo das Instrument weit verbreitet ist - inzwischen wird es sogar bis nach Japan verkauft. Verena Hinzmann und Inge Kemme würden gerne eine Harfengruppe gründen, um regelmäßiger und mit vielen üben zu können. "Über das Haus der Kirche in Harburg möchten wir ein Netzwerk für Veeh- und Zauberharfenspieler aufbauen", sagt Hinzmann. Und dann haben die beiden noch einen ganz besonderen Wunsch: "Ein Harfenkonzert im Michel wäre ein Traum."

Das Veeh-Harfen-1x1 - Schnupperkursus für Anfänger 13. + 27.4., jeweils 10.00-13.00 und 16.00-19.00, Evangelische Familienbildung Harburg, Hölertwiete 5, Kosten: 15 Euro, Anmeldung unter T. 519 00 09 61 oder info@fbs-harburg.de