Der Direktor des Altonaer Museums wird an diesem Donnerstag in den Ruhestand verabschiedet. Er ist ein Wissenschaftler, der gern zupackt.

Hamburg. Der Stock, der Torkild Hinrichsen beim Gehen stützt, ist aus Holz. Mit einem Tierkopf als Knauf. Das Stück sieht aus, als habe es ein einsamer Mann in den Bergen mit Blick auf die unverstellte Natur geschnitzt. Ein wenig archaisch, sehr eigen. Dass Hinrichsen nicht irgendeinen x-beliebigen Stock mit sich führt, verwundert kein bisschen. Denn von klein auf ist er einer, der die Gegenstände liebt. Der in ihnen nicht bloß die Funktion sieht, sondern Charakter und Geschichte.

Wenn Hinrichsen diesen Donnerstag als Direktor des Altonaer Museums in den Ruhestand verabschiedet wird, verliert das Haus einen Menschen, der den Dingen eine Identität zu verleihen versteht. Obwohl "verlieren" nicht ganz das richtige Wort ist. Denn ein Torkild Hinrichsen geht niemals so ganz. Und erst recht nicht leise. Das Urwüchsige und Zähe mag ihm vererbt worden sein. Der Name Torkild stammt von seinem norwegischen Ururgroßvater, der einst mit einem Segelschiff übers Meer fuhr.

"Das macht biologisch und vom Ökonomischen her überhaupt keinen Sinn, Leute mit 65 auszusortieren. Diese Lebenserfahrung einfach wegzugeben ist etwas, was sich eine moderne Gesellschaft nicht erlauben kann", sagt Hinrichsen. In seiner rauen Stimme reichen sich Gelassenheit und Trotz fest die Hände. Wer Hinrichsen ansieht, ahnt schnell, dass es sich da um einen Geist handelt, der nicht nur querdenkt, sondern auch gern geradeaus redet. Das halblange graue Haar und der Vollbart bilden den Rahmen für ein Gesicht, das viel auf einmal ist. Widerborstig und weise etwa. Wie ein unbehauener Fels, der sich in der Sonne warm auflädt und zugleich kühlen Schatten spendet. Das Beherzte und das Analytische sind die Pole, die Hinrichsen spannungsgeladen in sich vereint. Und die er künftig dort einsetzen will, wo er gebraucht wird.

"Ich transformiere meinen Eifer jetzt auf den Förderkreis", sagt Hinrichsen und stützt sich auf ein Sideboard. Das Museum wird derzeit umgebaut, zum Gespräch muss ein Büro reichen, das sich mehrere Mitarbeiter teilen. Ordner und Bücher türmen sich. Hinrichsen spielt mit seiner Brille, während er weiter erzählt. Im Verein "Freunde des Altonaer Museums" möchte er fortan Ehrenamtliche weiterbilden. Auch in der übrigen Kulturszene wird er mitmischen. Und zwar vor der eigenen Haustür in den Vierlanden, wo er mit seiner Frau lebt. Als Mitglied des Beirats der Museumslandschaft Bergedorf will er helfen, das Netzwerk zwischen Rieckhaus, Schloss, Sternwarte und weiteren Gebäuden auszubauen. Die Häuser attraktiv machen, Sinn und Beziehungen stiften. Am Rande Hamburgs, da herrsche "eine Aufbruchsstimmung, die richtig guttut", sagt Hinrichsen. Und seine Augen blitzen auf wie bei einem Studenten, der sein erstes großes Projekt angeht.

Es ist mehr als unwahrscheinlich, dass es Torkild Hinrichsen in den kommenden Jahren langweilig werden wird. Mehr als 50 Bücher hat er bereits verfasst, weitere sollen folgen, etwa über die Kulturgeschichte des Zuckers und die des Mülls. Die Alltagskultur ist sein Steckenpferd, vor allem die der Kindheit und des weihnachtlichen Brauchtums. Ein Wissen, dass er seit Jahren in die legendären Weihnachtsausstellungen im Altonaer Museum einspeist. Und so manches Kind mag kurz überlegt haben, ob das mit dem Weihnachtsmann nicht doch wahr sein mag, als es Hinrichsen zwischen altem Spielzeug und duftenden Lebkuchen stehen sah, die Hände in den runden Bauch gestützt, herzhaft lachend.

Hinrichsen ist ein Wissenschaftler, der gern zupackt. Der die Dinge im wahrsten Sinne des Wortes begreifen will. Eine Leidenschaft, die mitunter zum Problem werden kann, wenn die Liebe zum Objekt auf die Grenzen des Raums stößt. "Ich habe zu Hause eine riesige private Bibliothek", sagt Hinrichsen. Auch alte Steinwerkzeuge sammelt er. "Ich höre vorsichtshalber auf, wenn ich drei Stück von einer Sache habe. Denn ich weiß: Wenn ich das vierte habe, dann geht mit mir der Gaul durch", sagt er und reibt sich durchs Gesicht, als denke er daran, dass er zu Hause mal wieder ausmisten müsste.

Er sei 1948 übrigens an einem exotischen Ort geboren, sagt er. In Jerusalem. Und als sein Gegenüber gerade nachfragen möchte, wie das kam, schiebt er hinterher, er meine das Krankenhaus in Eimsbüttel, um sich schließlich diebisch über diesen Jux zu freuen.

Wenn Hinrichsen von seiner Kindheit erzählt, zeichnet er mit wenigen Sätzen ein detailreiches Bild. Die große Wohnung an der Palmaille, wo er dänischsprachig aufwuchs. Wie er dort einmal im Jahr seine Naturkundesammlung ausstellte. "Die habe ich angefangen, als ich vier war. Mit ausgestopften Tieren, Muscheln, Versteinerungen." Ganz mild wird seine Stimme, als er die Erinnerungen schildert.

Sein "Naturalientrip" habe ihn mit 14 Jahren bereits professionell ans Altonaer Museum geführt. Zwei Jahre lang pflegte er eine Schmetterlingssammlung, die das Haus geerbt hatte. Und mit der die nicht umgehen konnten, wie Hinrichsen betont. Doch schon vorher, als das Museum 1953 "notdürftig zusammengeflickt worden war", lief er mit seinen Eltern - einer Dänin und einem Schleswig-Holsteiner - durch die Gänge an der Museumstraße 23. Eindrücke, die unterbewusst in ihm fortgewirkt haben müssen, meint Hinrichsen.

Eigentlich wollte er Zeichenlehrer werden, ging dafür an die HfbK, wechselte später aber an die Uni, um Kunstgeschichte, Geschichte und Archäologie zu studieren. Inklusive Graduiertenstipendium. "Zwei Jahre lang 800 Mark im Monat. So viel Geld hatte ich noch nie gesehen." Seine 4000 Seiten starke Dissertation schrieb er über romanische Grabsteine in Dänemark, wofür er 600 Dorfkirchen mit dem Rad abfuhr.

Ende der 70er-Jahre kam er als wissenschaftlicher Mitarbeiter ans Altonaer Museum. Bevor er dort 1986 Stellvertreter und 2007 schließlich Direktor wurde, machte er einen Abstecher nach Dortmund, wo er die Sammlung des Museums für Kunst und Kulturgeschichte neu ausrichtete. Sein Spitzname im Ruhrgebiet: "Dr. Müll". Weil er damals schon bevorzugt Nichtbeachtetes sammelte, um so mehr über das menschliche Verhalten zu erfahren.

Hinrichsen ist einer, der gerne die Komplexität der Dinge durchschaut. Sei es die Gentrifizierung in seinem geliebten Altona ("Die Schickeria kauft sich multikulturelles Ambiente") oder die veränderte Arbeitswelt, auch ganz konkret im Altonaer Museum. Sieben Abteilungsleiter hätte es früher gegeben, zwei seien übrig. Die Effizienz basiere auf Selbstausbeutung, die Aufbewahrungsmöglichkeiten seien kriminell.

Kritische Töne anzustimmen, darin ist Hinrichsen vor allem seit 2010 geübt, als er zur Galionsfigur des Kulturprotestes in Hamburg wurde. Als der damalige Kultursenator Reinhard Stuth das Museum schließen wollte, da seien sie auf einmal da gewesen, "die Altonaer". Sehr viel Stolz schwingt mit, wenn Hinrichsen von der Bürgerbewegung erzählt, die sich da formierte. Und ein Kichern kann er sich nicht verkneifen, als er anfügt: "Glücklicherweise hatten wir einen Kultursenator, der ein Musterexemplar für einen Lieblingsfeind abgab. Den hätte ich gar nicht besser kneten können." Jetzt kann er darüber lachen, damals sei das für die Mitarbeiter und ihn ein Spannungszustand gewesen, "der geradezu unvorstellbar ist".

Auch wenn der Dialog mit der Stadt mittlerweile besser läuft, hofft Hinrichsen dennoch inständig, dass es zu seiner Verabschiedung "keine Krokodilstränen von amtlicher Seite" gibt. "Das kann ich nicht ab", sagt er knapp. Der Freundeskreis hat einen Festakt vorbereitet. Und bei Kultursenatorin Barbara Kisseler ist er zum Kaffee eingeladen. Vielleicht wird er bei seinem Besuch auch das Thema Nachfolge ansprechen.

Denn Hinrichsens größte Sorge ist, wie sein "Familienbetrieb" weitergeführt wird. "Das Schlimmste, was passieren kann, ist ein neuer Direktor, der das Prinzip hier nicht versteht." Ein Prinzip, das da lautet: "In der Theorie ist das Haus hierarchisch organisiert. Wir haben das nur nie betrieben."

Ein Gemütsmensch wie Hinrichsen sieht seinen letzten Tag als Museumschef aber ohnehin in größerem Zusammenhang. "Der wirklich letzte Tag ist das Jüngste Gericht", sagt er und guckt halb verschmitzt, halb nachdenklich. "Das jetzt ist eine Kategorie darunter."