Die Hamburger Erstaufführung von Benjamin Brittens “Gloriana“ in der Inszenierung von Richard Jones erhielt an der Staatsoper viel Beifall.

Hamburg. Robin nennt sie ihn, diesen Robert Devereux, den Earl of Essex. Robin heißt Rotkehlchen. Elisabeth I., Königin von England seit 1558, von ihren Untertanen anbetungsvoll Gloriana genannt, gibt ihrem Earl einen musikalischen Spitznamen, denn er hat eine schöne Stimme. Sie mischt sich verführerisch gut mit der ihren. Das sagt sie ihm, nachdem die beiden miteinander gesungen haben, und es stimmt auch auf der Bühne der Hamburgischen Staatsoper, wo Benjamin Brittens Oper "Gloriana" am Sonntag Premiere hatte. Der Sopran der Amanda Roocroft als Elisabeth und Robert Murrays Tenor als Essex mischen sich wunderbar.

Es gibt in Elisabeth eine starke Sehnsucht danach, mit diesem Rotkehlchen davonzufliegen. Aber sie ist die Königin, und sie sieht ihre Stärke darin, sich an keinen Mann zu binden. Man kann das verstehen. Ihr Vater, Heinrich VIII., ließ ihre Mutter Anne Boleyn köpfen, als sie zwei Jahre alt war. Außerdem ist Essex verheiratet und viel, viel jünger als Elisabeth. Das Pflichtgefühl ihrem Volk gegenüber hält ihre Leidenschaft in Schach, meistens jedenfalls. Auf einem Fest demütigt Elisabeth die Frau des Mannes, den sie liebt. Dann schickt sie ihn als ihren Hofmarschall nach Irland, Rebellen niederschlagen.

Essex ist machtgeil und schleicht schon um den Thron Elisabeths, der Jungfrauenkönigin, die keine eigenen Nachkommen hat. Aber er versagt in Irland. Und in England hat er einflussreiche Gegner, die ihm seinen Günstlingsstatus bei der Königin neiden. Sie klagen ihn des Hochverrats an, er wird schuldig gesprochen, Elisabeth unterschreibt zaudernd, wütend, enttäuscht, verzweifelt sein Todesurteil.

Danach versagt ihr bei Britten die Singstimme. Nur noch ein Zitat des einstigen Liebesduetts kommt ihr als Melodie über die Lippen. Der Rest ist Sprechen, ist Erklären, sind Worte für die Nachwelt. Die Königin ist erledigt, die Königin ist tot.

Richard Jones, Regisseur der bis auf einen Buhruf einmütig, wenn auch kurz bejubelten Hamburger Erstaufführung der "Gloriana", erzählt diese Geschichte, die Britten und sein Librettist William Plomer 1953 anlässlich der Krönung von Elisabeth II. in deren Auftrag schufen, aus doppelt gebrochener historischer Perspektive. Wir sehen, wie eine manierliche englische Kleinstadt-Gesellschaft der frühen 50er-Jahre mit beschränkten technischen Mitteln sich das Elisabethanische Zeitalter auf einer Opernbühne einrichtet. Die sieht dann allerdings mit ihren unvorteilhaften Farben und dem Neon-Arbeitslicht an der Decke eher wie eine Turnhalle oder eine Schulaula aus. Alles so schön provinziell hier im Amateurtheater.

Amateure aber sind dem Wortsinn nach Liebende, und die Liebe zur Geschichte, zu ihren Figuren und zur Monarchie überhaupt ist in dieser Gesellschaft beträchtlich. Rechts am Rand stehen die ganze Aufführung über die Kleinstädter in ihren Rollen als Inspizient oder Beleuchter, sie bezeugen das Geschehen auf der Bühne und halten uns stets auf historischer Distanz dazu. Nach jeder Szene stoppt die Musik, die Umbauten geschehen auf offener Bühne. Bühnenbild und Requisite (Ultz) sind eine rührende Mischung aus Behelfsmäßigem und Raffinement. So prächtig die Kostüme (Ultz), so nackt macht sich das Theater.

Dass der Text schon zur Entstehungszeit der Oper altertümelte, fällt angesichts pointiert formulierter deutscher Übertitel überhaupt nicht ins Gewicht. Schwerer hat die Oper an ihrem Mangel an Erzählstoff zu tragen und an einer Vielzahl kleiner bis mittlerer Rollen, deren Ausgestaltung recht holzschnitthaft bleibt - etwa Sir Walter Raleigh oder Sir Robert Cecil. Wohl dem Geschmack der Zeit gehorchend, dehnt sich zu Beginn des zweiten Akts gefährlich die Zeit mit Maskenspiel und allegorischen Tänzen, denen Elisabeth bei einem Besuch in Norwich beiwohnt. Jones denunziert das gut Gemeinte dieser betulich in Kunst transformierten Ergebenheitsadressen der Untertanen nicht, sondern bewahrt den sehr englisch anmutenden Lustbarkeiten gewissermaßen mit einem Lächeln ihre Würde. Zäh wurde es nur in der Straßenszene in London im dritten Akt, wo ein in den manchmal nur mühsam erreichten Tiefen seines Basses herumbrummelnder Sänger langatmig die Chronik der laufenden Ereignisse weitergab.

Die Regie hält den Zuschauer beim Spiel mit der doppelten Antiquität erstaunlich elegant bei der Stange. Man begreift ja schnell, dass das Prinzip Theater im Theater den Abend über schwerlich aufgebrochen werden wird. Jones' Inszenierung aber setzt auf Wiederholung des Rahmens, nicht auf dessen Steigerung; sie verrät die Kleinstädter nicht, es geht nichts schief bei ihrem Bemühen, der Königin zu huldigen. Jones respektiert ihren Ernst.

Und er versteht die Sprache des Körpers; Essex' formidable Selbsteinschätzung spricht Bände aus seinen Bewegungen. Und dass das Gnadengesuch der Lady Rich (Helen Kwon) für ihren Bruder so fatal misslingt, ist mindestens so sehr der Körpergrenzverletzung zuzuschreiben, die sie Elisabeth dabei zufügt, wie ihren unbotmäßigen Worten.

Brittens quecksilbrige Instrumentationskunst und sein unerschöpflicher Einfallsreichtum an Motiven und Melodien machen die "Gloriana" zu einem musikalischen Ereignis, das die Philharmoniker unter Simone Youngs engagierter Stabführung regelrecht auszukosten schienen. Etliche heikle Solostellen, insbesondere bei den Bläsern, jähe Wechsel in der Artikulation und ein Klangfluss, der sich immer wieder selbst unterbricht: Das Orchester bewältigte diese Herausforderungen buchstäblich spielend. Die homogen besetzte Sängerriege mit einer wahrhaft majestätisch präsenten Amanda Roocroft an der Spitze profitierte von Gesangsmelodien, die man als kongeniale Übersetzung von Gefühlen mit allen Sinnen aufnahm.

Zuletzt liefert Richard Jones noch eine mögliche Erklärung dafür, weshalb die Oper bei ihrer Uraufführung durchfiel. Er lässt die junge Elisabeth II., die ja der echten "Gloriana" von der Loge aus zusah, gemessenen Schritts vor dem Kleinstädter-Ensemble vorbeidefilieren. Für sie, so meint man, war das alles kein Spiel, kein Kunstwerk. Sie hat es vielleicht als Menetekel auf ihre eigene Amtszeit gedeutet.

Und war nicht amüsiert.

Nächste Vorstellungen: Sa 30.3., 19.30, Mo 1.4., 18.00, Do 4.4., 19.30; Internet: www.hamburgische-staatsoper.de