Philipp Poisel, der beim Singen gern nuschelt, sorgte mit “Projekt Seerosenteich“ für viel Jubel im CCH. Poisel wurde von Grönemeyer entdeckt.

Hamburg. Das Kreischen, das sich in den heftigen Beifall mischt, wechselt hier und da in schmachtvolles Seufzen, als Philipp Poisel die Bühne betritt. Was zunächst verwundern mag, dann aber zutiefst sympathisch wirkt. Denn der 29-Jährige, der da vor den ausverkauften Saal des CCH 1 tritt, ist kein schön geföhnter Teenie-Schwarm, sondern optisch eher ein Normalo. Dunkelblaues Hemd, schwarze Jeans, strubbelige Haare in Straßenköterblond. Die Augen sind nicht entertainer-aufgerissen, sondern blicken etwas müde auf halbmast in die Welt. Und als er dann mit "Schweigen ist Silber" beginnt, seinen ersten Song zu singen, zu knödeln und zu nuscheln, da drängt er sich mehr als auf, der Gedanke an den großen Durchschnittstypen des Deutschpop, an Herbert Grönemeyer. Die Ähnlichkeit kommt gewiss nicht von ungefähr.

Poisel wurde 2007 von dem erfolgreichen Anti-Star entdeckt und ein Jahr später bei dessen Label Grönland unter Vertrag genommen. Am Montag nun lud der junge Musiker mit seiner Band, die eher einem kleinen Orchester glich, zu seinem "Projekt Seerosenteich". Eine Art Varieté-Konzert, das bereits 2012 für zahlreiche ausverkaufte Shows sorgte sowie für ein Live-Album, das auf die Nummer eins der Charts stieg.

Wie eine Mischung aus singender Säge und Sirenengesang klingt das Theremin zu Beginn des Songs "Für keine Kohle dieser Welt". Das elektronische Instrument und sein Spieler erscheinen im Scheinwerferkegel, der zum Pianisten wechselt, als dieser einsetzt. Die behutsam gesetzten Spots machen die Musiker zu Akteuren in einer Theaterkulisse, die sich erst langsam offenbart. Das Licht weitet sich, zeigt Poisel, vier Streicherinnen und Sängerin Alin Coen vor Sonnenaufgang und Schiff. Rechts schwappt eine Welle hoch. Holzarbeiten, die die Band - das wird Poisel später wie ein sehr aufgeregtes Kind erzählen - drei Monate lang in einer Tübinger Werkstatt gebastelt hat. Weil es so schön sei, auch mal etwas mit den Händen zu machen. Und dieses Selbstgewerkelte und Handgemachte passt zu dem Sound, der oftmals auf Akustikgitarre setzt. Der sich, wie bei dem Stück "Wo fängt Dein Himmel an", organisch aufbaut, sich vielschichtig verästelt und dann (mitunter arg opulent) auf Überwältigung zielt.

Es scheint, als habe Poisel ein eigenes Genre geschaffen. Das des Folkpop-Schlagers. Denn anders als die klanglich raueren Kollegen von Arcade Fire, die mit Akkordeon, Piano, Streichern und Schlagwerk ebenfalls einen barocken Stil pflegen, singt Poisel nicht von Paranoia, Bigotterie und der Tristesse der Vororte. Das Thema des gebürtigen Ludwigsburgers ist die Liebe. Und die Romantik, die er aus diesem Sujet zieht, changiert zwischen unschuldig und plakativ. "Und ich vermiss dich, / weil du Heimat und Zuhause bist, / weil bei dir mein Bauchweh aufhört", singt er etwa in "Halt mich", was Poisel live "Halt möööch" intoniert. Also sehr grönemeyeresk. Die Lyrik stellt die Gefühle eins zu eins aus. Was die Frage aufwirft, ob die Emotionen dann auch noch maßstabsgetreu mit Requisiten umgesetzt werden müssen. Muss wirklich ein Laubsägelagerfeuer vor Strandambiente illuminiert werden, wenn im Lied von "Salz auf der Haut und Wind in den Haaren" die Rede ist? Und muss es tatsächlich weiß herabrieseln, wenn Poisel und Coen von Schneeflocken singen? Die suggestive Kraft des Pop besteht ja unter anderem darin, die Fantasie zu entfesseln und jedem Hörer Platz für eigene Assoziationen zu lassen.

Aufgebrochen wird das Prinzip des "Show And Tell" an diesem dreistündigen Abend das erste Mal, als Poisel mit Florian Ostertag am Piano "Eiserner Steg" anstimmt. Aber zu diesem Song existieren ja auch bereits Bilder, gehört er doch zum Soundtrack von Matthias Schweighöfers Film "What A Man".

Aufgelockert werden die kurzen Umbaupausen übrigens von Kleinkunsteinlagen der Bandmitglieder, die als Jongleurin, Zauberer, Pantomime und Seiltänzerin mit Bodenhaftung auftreten. Interessant ist, dass Poisel und seine Gruppe ansonsten Musik und Ausstattung über ihre eigenen Personen zu stellen scheinen. Bei einer fein arrangierten, intensiven Ballade wie "Hab keine Angst" hätte man sich gerne einmal mehr Deutlichkeit gewünscht und die Gesichter der Musiker nicht nur als dunkle Schemen gesehen.

Richtig rund geht's mit der Zugabe "Als gäb's kein Morgen mehr". Auf der Bühne Jahrmarkttrubel mit Plüschtanzbär. Das Publikum, das zuvor bereits sehr andächtig gelauscht und sehr viel applaudiert hat, ist nun auf den Beinen, singt und klatscht mit. Eine Nähe, für die es keine Kulissen braucht.