Hamburg. Dirk von Lowtzow kniet vorne auf der Bühne, der Kopf in den Schoß gebeugt, ein Arm nach oben gestreckt, die Faust geballt. Es ist heiß in der Großen Freiheit 36, von Lowtzows Haar ist nass vor Schweiß. "K.O.O.K.", das sei ihm von nun an gegönnt, will man ihm zurufen. Er springt auf. Er lacht. Doch das Publikum will mehr. Fast zwei Stunden spielte Tocotronic auf dem Kiez. Wie immer begann sie ihr Konzert mit dem ersten Lied aus dem neuen Album "Wie wir leben wollen": "Im Keller".

"Ich war keiner von den Stars. Ich war höchstens Mittelmaß. Doch schwere Arbeit war es nicht für mich." So singt der Sänger zu Beginn. Von Lowtzow schwitzt noch nicht. Es sieht nicht nach Arbeit aus. Er fängt ja auch erst an.

Seit 20 Jahren steht Tocotronic auf der Bühne. Am Anfang, vor Jahrzehnten, war digital mal besser, die Zeit ging dann verloren, aber das war egal, beschweren wollte sie sich weiterhin, vernünftig war sie ja nie. Sich beschweren, anklagen, das System durchschauen - seit vielen Jahren verbreitet Tocotronic mit ihrer Musik Unbehagen. Aber auch die Zuversicht auf einen erfolgreichen Widerstand. Zur Not zumindest eine Niederlage mit Eleganz.

Für einige Lieder wechselt Gitarrist Rick McPhail an die Orgel. Dirk von Lowtzow wechselt an die verstärkte Akustikgitarre. Es ist der Weg, das neue melodische, fast ruhige Tocotronic-Album live zu inszenieren. Neue und alte Stücke folgen: "Hi Freaks", "Let There Be Rock", "Vulgäre Verse", "Exil".

Zwei Abende spielte die Band in Hamburg. Nach dem Auftritt am Freitag ging es gleich am Sonnabend weiter in der Freiheit 36. Zwei Abende in der Heimatstadt. Lasst Luft rein, Atem für die Band! Für ihre Gedanken! Das wünscht man Tocotronic nach der letzten Zugabe. Vorbei. Das Licht geht an, ein Lied von Platte ertönt aus den Boxen. Schade. Live ist besser.