Der neue “Stern“ kommt ausgeruht und sympathisch daher. Sein Chefredakteur Dominik Wichmann setzt auf Verlässlichkeit und Empathie.

Hamburg. Es ist kurz nach 19 Uhr. Gleich wird hier im 20. Stock des Atlantic-Hauses an der Bernhard-Nocht-Straße der neue "Stern" vorgestellt. Aber noch steht dessen Chefredakteur Dominik Wichmann mit den Journalisten zusammen und plaudert ein wenig. Er sagt, er finde diesen Raum "seltsam". Und die Art, in der er das sagt, macht klar, dass dies kein Kompliment ist.

Dabei wird der komplett verglaste Saal, der eine grandiose Rundumsicht auf Elbe und Stadt bietet, gerne für Partys und Präsentationen gebucht. Und das bestimmt nicht, weil die Interessenten den Raum "seltsam" fänden. Während der Reporter noch überlegt, warum Wichmann der Veranstaltungsort nur bedingt zusagt, hat die Vorstellung der komplett überholten Illustrierten schon begonnen.

Sie ist, das wird sehr schnell klar, komplett auf Wichmann zugeschnitten. Von seinen Kollegen aus der Chefredaktion, Thomas Osterkorn und Andreas Petzold, die beide im Mai ausscheiden, ist der eine - Osterkorn - gar nicht erst erschienen. Und Petzold stellt sich als "Vorgruppe" vor, bevor er nach nur wenigen Worten an Wichmann übergibt.

Der neue Chefredakteur, der erst seit Jahresbeginn im Amt ist, erläutert dann fast eine geschlagene Stunde das neue Heftkonzept. Unter den Attributen mit denen er den neuen "Stern" charakterisiert, taucht neben "zuversichtlich", "kritisch", "emphatisch" und "verlässlich" auch immer wieder der Begriff "normal" auf. Es scheint einer der Lieblingsbegriffe des Chefredakteurs zu sein. Und er passt zu ihm: Wichmann zählt zu den wenigen Männern im Raum, die kein Jackett tragen. Er ist in einem beigen Pullover und in Bluejeans erschienen. Und er kokettiert damit, im Urlaub stets nach Föhr zu fahren. Deshalb habe seine Redaktion, gewissermaßen "als Gruß aus der Küche", wie er das nennt, in der neuen Rubrik "Leben, wo andere Urlaub machen" eine Schlachterin aus Wyk von ihrer Nordseeinsel erzählen lassen. Als inseltypische Spezialität empfiehlt die Insulanerin Krabben mit Kartoffeln und weißer Soße, die auf einer kompletten Seite als Tellergericht zu sehen sind. Alles ganz einfach und normal.

Und mit einem Mal wird klar, warum Wichmann den 20. Stock des Atlantic-Hauses im Zusammenhang mit der Präsentation seines neuen "Sterns" "seltsam" findet. Denn diese Location ist eher etwas großkotzig als normal. Mit Normalität will der Chefredakteur aber seine Zielgruppe umgarnen, die er "in der Mitte der Gesellschaft" wähnt. Man könnte sie auch Mittelschicht nennen. Es ist eine schwierige Zielgruppe, die Abstiegsängste plagen und die sich in den letzten Jahren in unterschiedliche Sub-Milieus segmentiert hat.

Wichmann ködert sie mit "Verlässlichkeit", weshalb es nun mehr wiederkehrende Heftelemente gibt. Am Prinzip Wundertüte, das einst "Stern"-Gründer Henri Nannen proklamierte, will der Chefredakteur aber festhalten.

"Emotionale Identifikation" ist dem 41-Jährigen ebenfalls sehr, sehr wichtig. Stücke, die Hintergrund und Analyse bieten, aber auch exklusive Scoops sind es eher weniger. Die "journalistische Grundversorgung", findet Wichmann, gehört ins Web. Über seine Online-Strategie will der Chefredakteur allerdings kaum etwas sagen. Sie ist wohl noch im Werden begriffen.

Der neue "Stern" kommt sehr ausgeruht und sympathisch daher. Das Blatt macht anlässlich der Papstwahl mit einer Geschichte über katholische Priester auf, die Frau und Kinder haben. Es gibt ein Interview mit Michail Gorbatschow sowie eine Fotostrecke des Starfotografen Sebastiao Salgado zum Thema Genesis. Und auch dem Gruppentanz-Phänomen Harlem Shake widmet sich die Illustrierte. Kann man alles so machen, muss man aber nicht. Fast scheint es so, als sei der "Stern" dabei, ein Coffeetable-Magazin zu werden. Zumindest merkt man, dass Wichmann bis April 2011 das Magazin der "Süddeutschen Zeitung" verantwortete, das bekannt ist für ausgeruhte Geschichten, die einen gewissen Spin haben.

Optisch begibt sich der "Stern" zurück in die Zukunft. Die Anlehnung an die Layouts der späten 80er-Jahre ist gewollt. Gewöhnungsbedürftig ist eine sogenannte Tanzspalte, die sich meist in der Seitenmitte findet. Hier stehen Zusatzelemente wie Infografiken. Mitunter ist da aber auch nur Weißraum. Eine Reminiszenz an die Zeit vor 30 Jahren ist auch die Rubrik "Diese Woche", die am Heftanfang steht. Hier finden sich kurze Geschichten aus allen möglichen Themenbereichen. Sie ähnelt entfernt der Rubrik "Die Woche", die einst Nannen einführte und die Osterkorn und Petzold zu Beginn ihrer Amtszeit abschafften. In der Mitte des Hefts stehen lange Lesestücke und Fotostrecken, gefolgt von den Servicerubriken "Extra" und "Journal", die am Ende des Blatts stehen.

Ob und wie das neue Konzept aufgeht, wird davon abhängen, wie die neue Online-Strategie aussieht. Beim "Stern" wissen sie, dass Print heute nur ein Baustein - wenn auch ein sehr wichtiger - einer Medienmarke ist.