Gitarrist Johnny Marr, ehemals Mitglied der Smiths, hat sein erstes Soloalbum vorgelegt

Berlin. Es gibt zwei Fragen, die dafür sorgen, dass der sonst sehr zugewandte Johnny Marr schmallippig wird. Die erste ist die nach der Echtheit seiner Mod-Frisur, die zweite jene nach der Wiedervereinigung einer Band mit Namen The Smiths. Der Schatten der wohl maßgeblichsten Formation der musikalisch finsteren 1980er-Jahre ist lang. 900 verschiedene Antworten habe er auf die Frage schon gegeben, sagt Marr. Alle sagen das Gleiche. Niemals.

Und, wie um die nervigen Frager endlich verstummen zu lassen, bringt er 26 Jahre nach dem Ende der Smiths nun sein erstes Soloalbum auf den Markt - lässt man den ersten Versuch 2003 als Frontmann seiner Band The Healers außen vor, der eher ein Gemeinschaftsprodukt war. Auf "The Messenger" ist Marr nun sein eigener Botschafter. "Wenn ich in den vergangenen Jahren nicht so viel getourt wäre, hätte ich es schon fünf Jahre früher herausgebracht", sagt Marr, die schlanke, schwarz gekleidete Silhouette hingestreckt auf einem Sofa des mit Devotionalien vollgestopften Ramones Museums in Berlin. Der richtige Rahmen für einen der einflussreichsten Gitarristen der Welt, dem die Musikpostille "New Musical Express" soeben den Godlike Genius Award zuerkannt hat.

"Ich hatte schon lange all diese Gedanken über das Leben in mir, und als ich anfing zu schreiben, bekam ich Lust, selbst darüber zu singen", sagt Marr. Er strahlt eine seltene Verbindlichkeit aus. Den Verführungen des Rock 'n' Roll hat er längst abgeschworen. Mit 49 Jahren lebt er vegan, abstinent und hält ein tägliches Lauftraining ab. Dank seines Lebenswandels ist er immer noch ziemlich dicht dran an dem wild frisierten coolen Boy, der 1983 neben einem Gladiolen schwingenden Morrissey den Indie-Rock mit erfand.

Auch seine Musikbesessenheit ist die Gleiche wie damals. Das Album ist randvoll mit kraftvollen, von jugendlicher Energie getriebenen Upbeat-Songs, mal eher dem Britpop, mal dem New Wave huldigend. Frisch und zugleich seltsam vertraut. Gitarrenintros sind natürlich Pflicht. Genauso wie betörende Solopassagen. Waren The Smiths für die persönlich gefärbte, poetisch-bissige Poesie ihres Sängers Morrissey bekannt, gibt Marr in seinen eigenen Texten den skeptisch-analytischen Beobachter. Singt über Dystopien unserer technisierten Zeit. "Ich wollte keine introspektiven Texte schreiben. Meine Gefühle stecken alle in der Musik", sagt er. Seine Songs handeln von sozialen, alltäglichen Beobachtungen. Wie es ist, in einer Demokratie zu leben und Ziel erbitterter Marktkräfte zu sein. Von Technikjüngern, die im Lotto gewinnen und ihre Ehefrau gegen eine Herzmaschine eintauschen. Und davon, dass Politiker ihm wie Marionetten aus Gameshows vorkommen. Großstädte faszinieren ihn. Und große Denker. In "Generate! Generate!" zollt er René Descartes, französischem Philosoph des 17. Jahrhunderts, Referenz.

Die 1980er-Jahre haben das politische Bewusstsein des Sohnes irischer Einwanderer aus einer Arbeiterfamilie in Manchester geschärft. Damals spielte er in ersten Bands, bis er sich eines Tages aufmachte, an der Tür von Morrissey klingelte, der in der Stadt damals den Ruf eines an seine Schreibmaschine festgenagelten Eigenbrötlers genoss, und sagte "Lass uns eine Band gründen." Der Rest ist Musiklegende. Morrissey als Texter und Marr als Songwriter wurden eines der bedeutendsten Duos der Popgeschichte. The Smiths schrieben wütende, antimonarchistische Songs auf den Spuren von Punk und Rockabilly, die das Leben vom Mainstream verstörter Teenager retteten und Tausende zum Vegetarismus bekehrten. Und diese Musik war undenkbar ohne das lyrische, melodische Zirpen von Johnny Marrs Gitarre.

Das Ende war ein Desaster. Johnny Marr musste die von Morrissey stets nach kurzer Zeit verjagten Manager ersetzen, trank damals eine Flasche Remy Martin am Tag und baute einen schweren Autounfall. "Wenn es gut läuft, bemerkt man die Dinge nicht, die schiefgehen. Aber wenn es Zeit ist, weiterzuziehen, fallen sie dir auf. Wir haben nie aufgehört Freunde zu sein. Aber die Medien haben das in eine Seifenoper verwandelt", sagt Marr. Der absolute Tiefpunkt dieser Periode kam mit einem Prozess von Schlagzeuger Mike Joyce gegen das Duo Morrissey und Marr um höhere Anteile.

Er habe heute keine schlechten Gefühle gegen irgendjemanden, mit dem er jemals Musik gemacht habe, so Marr. "Niemand fragt Brian Eno, warum er sich nach dem Ende von Roxy Music anderen Musiken zugewandt hat, weil er als Intellektueller gilt", sagt Marr. "Ich bin nur ein Gitarrenspieler. So wie wir uns präsentiert haben, wurden wir als eine Art Rolling Stones wahrgenommen, die für die nächsten 40 Jahre zu bestehen hatten. Manchmal muss man Dinge hinter sich lassen." Seit 26 Jahren nun versucht Marr, The Smiths hinter sich zu lassen. Er suchte nach neuen, anderen Sounds und tat alles dafür, nicht mehr wie The Smiths zu klingen. Das gelang ihm als zeitweises Mitglied in Bands wie den Pretenders und The The, am deutlichsten bei dem von ihm, Bernard Sumner und Neil Tennant lancierten Projekt Electronic, als Gitarrist bei Bryan Ferry und zuletzt bei den Indie-Magiern Modest Mouse und den eher geradlinigen Burschen von The Cribs. Auch auf dem Soundtrack zum Film "Inception" ist er zu hören.

An diesem regnerischen Tag wirkt er versöhnt mit der Vergangenheit. Und natürlich schätzt er die 79 Songs, die die Smiths in nur fünf Jahren herausbrachten und die eine hingebungsvolle Fangemeinde bis heute verehrt. "Ich bin sehr stolz darauf, dass es passierte, aber ich war vorher in Bands und danach." Zum Band-System als einer Gang Verschworener hat er ein ambivalentes Verhältnis. "Ich wollte Teil einer Gang sein, aber gleichzeitig auch immer weg von ihr, denn sie hinderte mich, meinen eigenen intellektuellen und instinktiven Versuchungen nachzugehen, meine eigene Ästhetik zu verfolgen", sagt Marr. Die Songs auf "The Messenger" mögen ein wenig nach all den Bands klingen, die er im Laufe der Jahre mit seinem Gitarrenspiel veredelte. Aber vor allem klingen sie ganz nach Marr.

Johnny Marr: "The Messenger" (Warner); www.johnny-marr.com