David Grossman hat ein bewegendes Buch über den Verlust seines Sohnes geschrieben. Heute liest der Israeli in Hamburg

Liebermann-Studio. Mit vielen Preisen wurde der israelische Schriftsteller David Grossman schon ausgezeichnet - unter anderem mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Grossmans Werke, seine Romane, Kinder- und Jugendbücher leben vom meisterhaften Einfühlungsvermögen seines Schöpfers, von dessen genauer Beobachtung und Beschreibung jeglicher menschlicher Regung. Immer wieder hat sich der Erzähler auch als Friedensaktivist im israelisch-palästinensischen Konflikt geäußert. Sogar nachdem ihm das Schrecklichste passiert ist, das einem Menschen, der ein Kind hat, geschehen kann. Sein Sohn Uri wurde in den letzten Tagen des Libanon-Krieges getötet, von einer Rakete der Hisbollah.

Sechs Jahre später hat Grossman ein Buch über seinen Verlust und seine Trauer geschrieben. "Aus der Zeit gefallen" umkreist jene Grenzerfahrung, die jeder macht, der einen geliebten Menschen verliert. "Aus der Zeit gefallen bist du", heißt es "aus der Zeit, in der ich bin und an dir vorübergeh." Das Buch ist ein Klagegesang aus Lyrik, Prosa und Drama und einer antiken Tragödie nicht unähnlich. Wortmächtig und mit Wucht schleudert Grossman den Lesern Verzweiflung, Ohnmacht und Schmerz entgegen. "Sie ist da", sagt ein greiser Lehrer über seine tote Tochter, "ob ich gehe oder umkehre, aufstehe oder mich niederlege, sie ist da. Ich habe keinen Platz für mich oder einfach zum Atmen, für einen guten, tiefen Atemzug, umfassend und arglos, ohne diesen krampfenden Schrecken auf seinem Grund."

Das nur 120 Seiten starke Buch ist Sehnsuchtsgesang und zorniges Aufbegehren gegen den Tod, ein zartes Erinnerungslied und der aussichtslose Versuch, Tote ins Leben zurückzuholen. Das Buch erzählt die Geschichte eines Mannes, der losgeht, um seinen Sohn im Reich der Schatten zu suchen. An einer Stelle sagt er: "Dann denke ich, vielleicht gewöhnst du mich ganz langsam an den Schmerz deines Verlöschens." Unterwegs begegnen ihm eine Hebamme, die stottert, ein Schuster, der sich Nägel in den Mund stopft, um nicht ständig schreien zu müssen, lauter Männer und Frauen, die auch ein Kind verloren haben und untröstlich sind. Sie werden zum Chor der Gehenden, die langsam wieder Worte finden für ihr Leid und ihre Sehnsucht. Grossman hat ein Buch geschrieben über die Wiedergewinnung der Worte und das Miteinander in der Trauer. Das ist tröstlich bei all dem Leid, das den Figuren widerfahren ist. Denn hier begreift man als Leser: Das Unglück ist universal.

"Ich wäre dieser Katastrophe in meinem Leben gerne entgangen", sagt David Grossman über den Anlass seines Buchs, "aber sie ist nun mal passiert. Die einzige Art, mit dem Tod zu leben, ist für mich, über ihn zu schreiben." An anderer Stelle formuliert er: "Nach dem Tod eines Kindes wird die Welt zum Chaos. Alles wird dir fremd. Man hat sein Zuhause verloren. Es ist wie im Exil. Du musst dich neu finden."

David Grossman verfügt über das ungewöhnliche Talent, dem Unsagbaren Worte und eine Stimme zu verleihen. Vielleicht ähnelt er dem Fabelwesen in seinem Buch, dem Zentaur, der behauptet, "ich bin nicht in der Lage, etwas zu verstehen, bevor ich es nicht aufschreibe. Ich muss es neu entwerfen." Am Ende gelangen die Gehenden an eine Felswand, auf der sich die Gesichter ihrer Kinder spiegeln. "Nur Täuschungen des Lichts", wissen die Suchenden, "doch sie sind so lebendig." Grossman nimmt seine Leser an die Hand und geht mit ihnen in ein Exil der Traurigkeit. Das ist sehr berührend. Auch dank der wunderbaren Übersetzung ins Deutsche von Anne Birkenhauer.

David Grossman liest Mi 6.3., 19.30 Rolf-Liebermann-Studio (U Klosterstern, Bus 34, 109), Oberstr. 120, den deutschen Text liest Schauspieler Sebastian Rudolph, Moderation: Gabriele von Arnim, Eintritt: 14,-/10,-/8,-