Eine Betrachtung von Tino Lange

Als José Afonsos Arbeiter-Kampflied "Grândola, Vila Morena" in den frühen Stunden des 25. April 1974 im portugiesischen Radio erklang, wussten die bereitstehenden aufständischen Truppen, dass es Zeit war, gegen das damalige autoritäre Regime loszuschlagen. Die "Nelkenrevolution" begann, wenige Stunden später waren vier Jahrzehnte Diktatur beendet.

Derzeit ist "Grândola, Vila Morena" in Portugal wieder in aller Munde, als gesungene oder gerufene Parole gegen die Sparpolitik des konservativen Ministerpräsidenten Pedro Passos Coelho. Wo auch immer er und seine Minister sich bewegen, schallt ihnen die Liedzeile "Es ist das Volk, das bestimmt, was geschieht" entgegen.

Auch für Protestlieder gilt: Am besten funktionieren die Klassiker, ob am Bauzaun von Stuttgart 21 oder in den Camps der Occupy-Bewegung. Keine Macht für niemanden. Get up, stand up. Zwar wurden auch viele neue Lieder geschrieben, von Wir Sind Heldens Attac-Song "23.55: Alles auf Anfang" (2011) bis zu Bruce Springsteens zornigem Finanzkrisen-Album "Wrecking Ball" (2012). Aber die Massen bewegten sie nicht.

Immerhin platziert Google Anzeigen für Springsteens Deutschland-Tour in Meldungen über Demos für den Erhalt der East Side Gallery, einem noch stehenden Abschnitt der Berliner Mauer. David Hasselhoffs "Looking For Freedom" will man dort eher nicht hören. Der Song soll ja 1989 die Mauer eingerissen haben.