Der ZDF-Film “Und alle haben geschwiegen“ (Montag um 20.15 Uhr) zeigt das Leid, das Kindern in den Nachkriegsjahrzehnten in westdeutschen Heimen zugefügt wurde.

Selten hat ein Sachbuch die deutsche Gesellschaft so aufgewühlt wie die Dokumentation, die Peter Wensierski 2006 unter dem Titel "Schläge im Namen des Herrn" veröffentlichte. Mit authentischem Material enthüllte der "Spiegel"-Redakteur damals, wie Kinder, die sich in den ersten drei Nachkriegsjahrzehnten in der Obhut staatlicher und kirchlicher Heime befanden, systematisch gedemütigt, misshandelt und als Arbeitskräfte ausgebeutet worden sind. Die Veröffentlichung der "verdrängten Geschichte der Heimkinder in der Bundesrepublik", so der Untertitel des Bestsellers, machte damals vielen Betroffenen Mut, nach Jahrzehnten erstmals über das erlittene Unrecht zu sprechen und von den verantwortlichen Institutionen eine Entschuldigung und Entschädigung einzufordern.

Besonders die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), deren diakonisches Werk zahlreiche Kinderheime betrieb, geriet damals enorm unter Druck und sah sich schließlich gezwungen, die Misshandlung vieler Kinder in ihren Einrichtungen einzugestehen und in einer offiziellen Erklärung zu bedauern. Am 26. November 2008 bedauerte auch der Petitionsausschuss des Bundestages das "erlittene Unrecht und Leid, das Kindern und Jugendlichen in verschiedenen Kinder- und Erziehungsheimen in der alten Bundesrepublik in der Zeit zwischen 1945 und 1970 widerfahren ist". Drei Monate später trat erstmals der "Runde Tisch Heimerziehung in den 50er- und 60er-Jahren" unter Vorsitz der damaligen Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer zusammen, um sich ausführlich mit dem Schicksal der früheren Heimkinder zu beschäftigen, von denen nur manche bereit waren, persönlich Auskunft zu geben.

Dieser runde Tisch bildet die Rahmenhandlung des Films "Und alle haben geschwiegen", den das ZDF am heutien Montag als Fernsehfilm der Woche ausstrahlt. Es ist keine Verfilmung des Wensierski-Sachbuchs, Drehbuch-Autorin Andrea Stoll hat das Material stattdessen für eine fiktionale Handlung genutzt, in deren Mittelpunkt das Schicksal zweier Heimkinder steht.

Luisa Hamilton, gespielt von Senta Berger, ist nach mehr als vier Jahrzehnten erstmals wieder aus den USA nach Deutschland zurückgekehrt, um vor dem runden Tisch über das zu berichten, was sie als 16-Jährige in dem von evangelischen Diakonissen betriebenen Heim Falkenstein erlitten hat.

Da ihre alleinerziehende Mutter unheilbar erkrankt ist, wird Luisa, in ihrer Verletzlichkeit überzeugend verkörpert von Alicia von Ritterberg, auf Anweisung des Jugendamts in das kirchliche Heim eingewiesen, für dessen Personal christliche Nächstenliebe nur eine leere Formel ist. Luisa und Paul (Leonard Carow), der am selben Tag in Falkenstein eintrifft, erfahren schnell, dass es hier nur ein einziges Erziehungsziel gibt: die vollkommene Unterordnung des Einzelnen, dessen Wille gebrochen und dessen Würde mit Füßen getreten wird. Obwohl Luisa hervorragende Noten hat, "ist eine weitere Beschulung nicht vorgesehen". Wie ihre Leidensgenossinnen muss sie zehn bis zwölf Stunden täglich in der Wäschemangel arbeiten. Einer Diakonisse fällt auf, dass Luisa sich zu Paul hingezogen fühlt und wirft ihr "nackte Fleischeslust" vor, bevor man sie gnadenlos demütigt. Als der Landesbischof das Heim besichtigt, schweigt Luisa, obwohl ihr die Spuren von Misshandlungen anzusehen sind. Doch dem Bischof ist ohnehin klar, was auf Falkenstein vor sich geht. "Dass es mit Liebe allein nicht geht, das wissen Sie und das weiß auch ich", sagt er, als er sich von der Heimleiterin verabschiedet. Wer in den 1960er-Jahren aufwuchs, weiß, dass Kinderheim kein neutraler Begriff war, sondern Schrecken in sich trug.

Nur knapp haben Luisa und Paul die Zeit auf Falkenstein überstanden, an den seelischen Folgen tragen sie ihr Leben lang. Bei ihrer Rückkehr nach Deutschland trifft Luisa Hamilton erstmals ihren Freund Paul Berghoff wieder. Matthias Habich spielt ihn als einen Menschen, der das Trauma seiner Kindheit niemals überwinden konnte. Zögernd und mit größter Kraftanstrengung ist er schließlich bereit, vor dem runden Tisch über sein Schicksal zu sprechen. Auch darüber, dass er nachts schweißgebadet und voller Ängste aufwacht. Ob sie nicht zur Versöhnung bereit sei, fragt ein Vertreter der Diakonie Luisa. Ihre Antwort: "Versöhnung? So weit bin ich noch nicht."

Erst seit 2012 steht ein Hilfsfonds mit 150 Millionen Euro für die Opfer zur Verfügung.

Und alle haben geschwiegen Montag, 4.3., ZDF 20.15