Eine lange Nacht der 70er-Jahre mit den Stars von damals in der Sporthalle. 3500 Disco-Fans haben sich vom Paillettentop bis zu bonbonbunten High Heels stilgerecht aufgerüscht.

Hamburg. Die Sporthalle ist eher ein Ort für Konzerte, bei denen durchaus mal was kaputt gehen könnte. Mehrzweckrobustheit für Dezibelrocker wie Motörhead oder für Elektrokrawallmacher wie Deichkind. Ein Saal fürs Grobe. Wie aber soll zwischen die Plastikhartschalensitze die flirrende Leichtigkeit der Disco-Ära einziehen?

Der TV-Sender RTL hat am Freitag mit "Die ultimative Chartshow" zu einem langen Abend mit Stars aus der Epoche von Groove und Glitter geladen. Das Kopfkino beginnt zu rattern: Andy Warhol mit seinem weißen Haar und Bianca Jagger auf ihrem weißen Pferd im einstigen Epizentrum des eleganten Hüftschwungs, dem Studio 54 in New York. Der Glamour entfesselt. Jede Nacht ein Versprechen, eine Weltflucht. Ein Lebensgefühl, das sich in den 70er- und 80er-Jahren bis in jeden deutschen Partykeller ausbreitete.

Jene, die damals ihr Jungsein feierten, aber auch Spätinfizierte sind für eine "Celebration" in die Krochmannstraße gekommen. Manche der etwa 3500 Disco-Fans haben sich vom Paillettentop bis zu bonbonbunten High Heels stilgerecht aufgerüscht. Bei anderen glitzert es nur verhalten unter der Funktionsjacke. Aber selten, das wird sich im Laufe der kommenden vier Stunden zeigen, ist ein Publikum derart entspannt beschwingt. Das könnte an dem Cocktail aus Nostalgie und Musik liegen, den die Band Chic zu Beginn besonders gekonnt ausschenkt.

Mit Nile Rodgers betritt ein legendärer Hitlieferant die Bühne, der seine Songs nach wie vor mit viel Frische und Fingerfertigkeit zu präsentieren weiß. Der Gitarrist scheint mit seinem schnittigen schwarzen Anzug, mit Bandana um die Rastalocken und Sonnenbrille in cooler Würde gealtert zu sein. Seine beiden Sängerinnen tragen die sanft verstörende Mode der Disco-Zeit mit Grandezza. Die eine im silbernen Hosenanzug, die andere in Lederhotpants mit einem goldenen Nichts an Puffärmeln oben herum.

Gemeinsam mit sechs weiteren Musikern (in weißen Anzügen!) startet Chic mit "Everybody Dance", es folgen längst ins kollektive Ohr eingesickerte Nummern wie "I Want Your Love" sowie natürlich die Überhymnen "Le Freak" und "Good Times". Die markanten Riffs geraten knackig, Sound und Stimmen heben die Euphorie langsam, aber stetig empor wie auf einer mondänen Hebebühne. Zunächst noch zaghaft, bald immer mutiger setzen Tanzaktionen in der Menge ein. Ein älterer Typ im Karohemd wirbelt mit seinen Armen, als trommele er den Takt mit, und geht immer wieder rhythmisch in die Knie. Als erinnere sein Körper sich an die "moves" aus seiner Jugend. Er kann es noch. Ebenso wie Chic. Nile Rodgers hat nicht nur in der Pop-Geschichte, sondern auch an diesem Abend Maßstäbe gesetzt. Daran müssen sich die Nachfolgenden messen lassen.

Sympathisch an dieser "Chartshow" ist übrigens, dass es keine durchgestylte Fernsehveranstaltung ist. Als der Video-Einspieler ausfällt, der im üblichen Mix aus Wikipedia-Wissen und D-Promi-Aussagen die Künstler erläutern soll, sagt der Moderator schlicht "Schietegal, let's groove!" und kündigt die "Earth Wind And Fire Experience featuring The Al McKay Allstars" an. Der umständliche Name deutet bereits an, dass es sich nicht um die Originalbesetzung handelt. Der Auftritt der insgesamt 13-köpfigen Gruppe gerät dann zwar lauter, aber nicht unbedingt packender. Ein falsett-geladener Hit wie "Boogie Wonderland", der zuletzt durch den Filmerfolg "Ziemlich beste Freunde" wieder verstärkt im Gehör ist, sorgt zwar für erste ausladende Paartänze im Publikum. Doch immer wieder driftet die Dynamik der Band gen Fahrstuhl-Funk oder scheint den Soundtrack für eine schwüle Sommernacht oder Beischlaf oder beides zu liefern.

Ganz anders die Damen von Sister Sledge. Die drei Schwestern der 1971 gegründeten Formation sehen hinreißend aus in ihren güldenen Minikleidern. Zwar haben ihre Stimmen über die Jahre an Geschmeidigkeit verloren. Aber ein wenig Schmutz und Seele im Gesang schadet Krachern wie "Lost in Music" und "We Are Family" keineswegs. Und was an Akkuratesse fehlt, machen die Sängerinnen durch Spielfreude wett. Sie flirten mit den Fans, klatschen sich ab, umarmen sich.

Ein Charmeur ist auch Leee John von Imagination. Doch seine Pirouetten und auch seine vielseitige Stimme können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Disco-Klassiker wie "Just An Illusion" im Halbplayback eher nach Konserve als nach fesselndem Live-Erlebnis klingen.

"Wer schwächelt, bekommt jetzt die Keule", tönt der Moderator durchs Mikro und meint Kool & The Gang. Die Herren, die sich 1969 zusammenschlossen, um letztlich mehr als 70 Millionen Tonträger zu verkaufen, bewegen sich butterweich wie eine Boyband. Selbst Radschläge sind zu beobachten. Auch wenn das ein oder andere Instrumentalsolo etwas zu selbstverliebt lang gerät, zündet diese Hitmaschine noch immer. "Fresh", "Jungle Boogie", "Ladies Night", "Get Down On It", "Celebration" - wie viele Feten diese Songs wohl schon vor dem sicheren Tod durch Langeweile gerettet haben. Die Disco-Lichter kreisen. Freundescliquen fotografieren sich. Eine Erinnerung von der Erinnerung. Die Sporthalle wird nie das Studio 54 sein. Aber für eine "old school disco party", wie Rodgers sie anfangs forderte, reicht es allemal.