“Lauter Verrückte!“ in der Hamburger Kammeroper ist ein rasantes, vor Witz sprühendes Kabinettstückchen

Allee Theater. Da reitet ein Herr mittleren Alters auf einem Stuhl über den Esstisch, auf dem Kopf einen Kochtopf und gegürtet mit einer Spitzenstola, schmettert eine arg schlichte Arie, und die Familie windet sich. Der Musikenthusiast findet wenig Unterstützung in den eigenen Reihen, vorsichtig ausgedrückt.

Man kennt das ja, dieses Augenrollen, wenn sich die Altvorderen in Begeisterung hineinsteigern. "Peinlich", sagen Kinder heute dazu und staunen, wenn die Alten sich von diesem vernichtenden Urteil so gar nicht beeindrucken lassen. Jetzt hat der Regisseur Philipp Kochheim eine rasante Spielart dieses Generationenkonflikts auf die kleine Bühne der Hamburger Kammeroper gebracht. "Lauter Verrückte!" heißt das Buffo-Kabinettstückchen von Johann Simon Mayr, im Original "Che Originali!", wodurch es in den gängigen Opernführern freilich auch nicht auffindbarer wird.

Mayr (1763-1845) war ein höchst angesehener Komponist und Lehrer. Mehr als 60 Opern hat er verfasst, so bedeutende Opernhäuser wie die von Paris, Wien oder Petersburg wollten ihn als Direktor gewinnen. Sein bedeutendster Kompositionsschüler war Gaetano Donizetti, der Schöpfer des Evergreens "Lucia di Lammermoor".

Dass Mayrs "Che Originali!" ein jahrhundertelanger Dornröschenschlaf beschieden sein würde, war bei der Uraufführung 1798 nicht abzusehen. Die Oper war ein Renner. Ein Dutzend Aufführungsorte in Europa und Amerika verzeichnet das Programmheft, darunter auch Hamburg.

Eine veritable Ausgrabung also. Als musikalischer Archäologe zeichnet für die Hamburger Fassung vor allem der Bariton Marius Adam verantwortlich: Über Jahre hinweg hat er in Archiven und Bibliotheken nach Bruchstücken gesucht, hat mit Verlagen und Sammlern korrespondiert, hat geprüft und Echtes von Unechtem getrennt. Diese Vorlage hat der Dirigent Fabian Dobler gestrafft und bearbeitet.

Die beiden sind denn auch Herz und Seele der Aufführung, Dobler als Leiter des vorzüglich aufspielenden Instrumentalensembles, Adam als der unverstandene Autodidakt Don Febeo.

Der hat sich in die Idee verguckt, als Darsteller des Don Quijote eine Karriere als Opernsänger zu beginnen. Und auch seine Töchter sollen nach dem Willen des Vaters Sängerinnen werden. Aristea, die Ältere, singt widerwillig die vorgeschriebenen Koloraturen, wie sie ihr Don Febeo mit der Reitgerte andeutet. Schon das ist urkomisch, weil die Personenführung so präzise auf die Musik hin zugeschnitten ist. Natürlich lässt sich Kochheim auch sonst keine Gelegenheit entgehen, die Koloraturen szenisch auszubeuten. So kühlt sich Aristea jammernd ihren Fuß in einer Blumenvase, nachdem der Vater seinem pädagogischen Eifer mit einem Tritt auf den Fuß Nachdruck verliehen hat.

Kochheim als sein eigener Bühnenbildner lässt keinen Zweifel an der Besessenheit seines Helden: Sämtliche Zimmer des Hauses sind mit Komponistenporträts und eingebauten Radios aus der Frühzeit des Mediums geschmückt. Dass aus den Geräten, kaum dreht man an einem der Knöpfe, Unverständliches und allemal Unmusikalisches dröhnt, ist einer von vielen Einfällen Kochheims, denen dieser Produktion ihren unbändig sprühenden Witz verleiht. Nie lässt die Spannung nach, nie werden die vielen slapstickartigen Situationen redundant.

Kühn auch die Entscheidung, die Handlung in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zu verlegen. Während die Musik sonst unbesehen als Mozart oder Rossini durchginge, einschließlich frech-turbulenter, vielgestaltiger Ensembles im Stile eines "Figaro" oder "Barbier von Sevilla", haben Kochheim und Dobler zwei Gershwin-Nummern interpoliert: "I Got Rhythm" und ein Zitat aus der "Rhapsody In Blue" sorgen zusätzlich für Drive.

Der entsteht natürlich auch dank des Ensembles. Mit Spielwitz und Mut zu Nuancen lassen sich die sechs Sänger auf diese Entdeckungsreise ein, das stimmliche Niveau ist durchweg erfreulich. Die differenzierteste Figur hat Adam selbst zu verkörpern. Da schimmert durch Witz und Tempo immer mal eine melancholische Note durch. Schließlich geht es um seine Passion.

Großer Jubel bei der Premiere. Möge er noch vielen weiteren Vorstellungen vergönnt sein.

"Lauter Verrückte!" 20.00, Allee Theater (S Altona), Max-Brauer-Allee 76. Karten zu 25,- bis 35,- unter T. 38 29 59; weitere Vorstellungen bis 9.6. jew. Mi, Fr, Sa, So; www.alleetheater.de