Der Düsseldorfer Konzeptkünstler Hans-Peter Feldmann erforscht Mythen des Alltags - zurzeit in einer großen Schau in den Deichtorhallen

Hamburg. Am Morgen der Eröffnung blickt "David" frisch restauriert voller Stolz neun Meter hoch über den Deichtorplatz. Die Nachbildung von Michelangelos gleichnamigem Werk aus dem Jahre 1504 errichtete der Künstler Hans-Peter Feldmann 2006 auf dem Heinrich-Böll-Platz in Köln. Zum Anbeißen wie eine Süßspeise sieht er aus in seiner aus Metall und Epoxidharz gefertigten Schönheit, die Haut schweinchenrosa, das Haar weizengelb, der Kussmund kirschrot. "David" ist Teil der bis zum 2. Juni gezeigten Schau "Hans-Peter Feldmann Kunstausstellung", die der Düsseldorfer selbst in der Halle für aktuelle Kunst der Deichtorhallen kuratiert hat. Mit über 120 Arbeiten ist es die bisher größte Feldmann-Schau überhaupt.

Großzügig verteilen sich dort die Exponate vermeintlicher Feldmannscher Gewöhnlichkeit über die Halle. Riesige Fotocollagen von Waschmaschinen, Frauenbeinen, Autoradios (während gute Musik spielt), Familienerinnerungen. Feldmanns Verhältnis zur Kunst ist ein fast alltägliches. "Das Leben ist einfach. Wie Griesbrei", sagt er. "Und Kunst ist wie essen, schlafen, Sex haben."

Die Faszination für Bilder lässt ihn seit Dekaden auf manische Weise sammeln, sortieren, gruppieren und die Dinge in einen Kontext stellen - die Mythen des Alltags inszenieren. Für Feldmann hält das Leben zehn Minuten Glücksmomente bereit. Ihn interessieren jedoch die 23 Stunden und 50 Minuten ohne Höhepunkt, die Niederungen der Ebene, die das Leben ausmachen. Das scheinbar so Offensichtliche wird jedoch bei genauem Hinschauen schnell durchkreuzt. Der ordnende Blick Feldmanns, das akribische Systematisieren verleiht den Fundstücken und Zufallsprodukten des Alltäglichen eine eigenwillige Poesie und Bedeutung. Zugleich befreit er das Banale mit den Mitteln von Witz und Ironie. Wer einen schlechten Tag hat, kann an der Unverfrorenheit und dem kindlichen Blick, der sich in der Kunst des Hans-Peter Feldmanns offenbart, zur Fröhlichkeit genesen.

Die Deichtorhallen-Schau vereint überwiegend Serien, Installationen, Skulpturen und Bilder aus den Jahren nach der Jahrtausendwende. Die ganz alten Arbeiten würden ihm nachlaufen, so Feldmann. Sein Lager ächze unter der übergroßen Fülle. Zu sehen sind zentrale Serien, wie die "100 Jahre", in denen er 100 Schwarz-Weiß-Porträts von Menschen im Alter zwischen 0 und 100 anfertigte und um eine Blumenvase gruppierte. Das Leben im Spiegel des Alters wird ihm zum Maßstab von Zeit.

Außerdem "9/12", für die er Zeitungstitelblätter 300 internationaler Zeitungen mit ihren Reaktionen auf den Anschlag vom 11. September nebeneinander hängte. Die Brotbilder. Silberleuchter an denen sich die Kerzen biegen. Schlangenlederschuhe neben Vogeleiern. Wichtige Figuren treten auf, wie der Holzmann, der Boxer und die in Vitrinen aufgebahrten Handtaschen samt Inhalt. Feldmann kaufte elf Stück von ihnen ihren Trägerinnen ab. Für je 500 Euro trennten sie sich von Lippenstift, Portemonnaie, Ansichtskarten und allerlei persönlichen Devotionalien. Hier erweist er sich einmal mehr als ein Ethnologe des Gemeinen.

Feldmann ist ein penibler Beobachter, dem tausend Kleinigkeiten auffallen. Bunte Magazine sind wahre Fundgruben für ihn. Die Art der Präsentation der Alltagsgegenstände im Kunstkontext lässt sie über sich selbst hinausweisen. Und überall zeigen sich feine Risse, Bedeutungsgräben, offenbaren sich die Dinge als wunderlich. Gegen falsche Idole und falsche Autoritäten setzt sich Feldmann zur Wehr.

Zu den Bildwelten, die ihn inspirieren, zählen auch Werke der klassischen kunsthistorischen Ikonografie. Manch klassisches Gemälde hat er mit kleinen Eingriffen verändert. Porträtierte tragen rote Clownsnasen. Oder sie bekommen einen Silberblick verpasst. Damit stellt er auch das repräsentative Moment der Kunst radikal infrage. Philosophische Überlegungen zeigen sich in seinem "Schattenspiel". Hinter einem Vorhang im Dunkeln präsentiert, offenbaren angestrahlte, rotierende Souvenirs und Spielfigürchen die Diskrepanz zwischen Dingwelt und menschlicher Wahrnehmung, wie sie der altgriechische Philosoph Platon in seinem Höhlengleichnis beschrieb.

Feldmann, 1941 in Düsseldorf geboren, zählt zur Generation von Sigmar Polke und Gerhard Richter, doch im Gegensatz zu diesen galt er noch in den 1960er- und 1970er-Jahren als Geheimtipp für Insider. 1980 blieb er dem Kunstbetrieb für zehn Jahre fern, fertigte Spielzeug an und unterhielt einen Laden für Geschenkartikel und Souvenirs. Heute berufen sich viele Gegenwartskünstler auf ihn. Jüngst waren seine Werke im Guggenheim Museum in New York im Museo Reina Sofía in Madrid und im Pariser Louvre zu sehen.

Die Kunst des Hans-Peter Feldmann wehrt sich gegen ein Kategorisieren, Einengen, Benennen. Sie bleibt ohne Signatur, weil sie allen gehört. Sie braucht keinen Titel und wenn es nach Feldmann ginge, auch keine Beschreibung, erst recht keine Erklärung. Er sucht seine Ideen nicht, sie finden ihn. Das Leben färbt ganz automatisch ab. Manchmal steht es auch kopf. So wie der Pkw, der gleich auf dem Parkplatz nebenan in einer Parklücke prangt und die Besucher irritiert. Es kann sehr wohltuend sein, das Leben mit den Augen des Hans-Peter Feldmann zu betrachten.

"Hans-Peter Feldmann. Kunstausstellung" 1.3. bis 2.6., Deichtorhallen/Halle für aktuelle Kunst, Deichtorstraße 1-2, Di-So 11.00-18.00, jeden ersten Do im Monat 11.00-21.00, Katalog 29,80; www.deichtorhallen.de