Die Hamburgerin Ruth Toma schrieb das Drehbuch zum Entführungsdrama

Mit ihrem Drehbuch für Rolf Schübels "Gloomy Sunday - Ein Lied von Liebe und Tod" gewann Ruth Toma den Deutschen Drehbuchpreis. Für Fatih Akin schrieb sie die Familiensaga "Solino", für Detlev Buck das Aids-Drama "Same Same But Different".

Hamburger Abendblatt:

Haben Sie gleich zugesagt, als man Ihnen anbot, das angefangene Drehbuch von Bernd Eichinger fortzuführen?

Ruth Toma:

Ich wollte es zuerst nicht. Die Geschichte war mir zu gruselig.

Was hat Sie umgestimmt?

Toma:

Natascha Kampusch ist aus diesem Kellergefängnis wieder herausgekommen. Sie ist als zehn Jahre altes Kind eingesperrt worden, hat sich aber in den kommenden acht Jahren nicht aufgegeben. Sie hat immer daran festgehalten, dass sie dort wieder wegkommen wollte. Deshalb überwiegt für mich das Hoffnungsvolle. Letztlich gelingt es nicht, Menschen einfach einzusperren, weil der Wunsch nach Selbstbestimmung so groß ist.

Wie kann man ohne Familie, Freunde, andere Menschen erwachsen werden?

Toma:

Das ist quasi unmöglich und erklärt das ambivalente Verhältnis zwischen Kampusch und ihrem Kidnapper. Er war eben nicht nur ihr Peiniger, sondern der einzige Mensch, der für sie verfügbar war. Einmal bittet sie ihn um einen Gutenachtkuss. Das ist die Suche nach einer Bindung, obwohl sie vor ihm große Angst hat. Wir haben versucht, diese Ambivalenz einzufangen.

Dies ist eine Geschichte von völlig aus dem Ruder gelaufenen männlichen Machtfantasien. Haben Sie trotzdem Sympathien für den Mann entwickelt?

Toma:

Das nicht. Aber er hatte keine Freunde, keinen rechten Platz, auch seine Arbeit verloren. Er war sexuell sehr verunsichert. Deshalb war es wohl auch kein Zufall, dass er ein Kind gestohlen hat. Darum war er auch so bestürzt, als er feststellte, dass Kampusch zur Frau wird. Danach verschieben sich die Machtverhältnisse zwischen den beiden ein wenig, denn sie spürt seine Verunsicherung. Je widerspenstiger sie wird, desto brutaler reagiert er. Eigentlich versucht er aber, sich ein Märchenschloss zu bauen, als wären sie ein ganz normales Paar. Das ist absurd.

Das Mädchen sag im Filmt: "Du bist genauso an mich gefesselt wie ich an dich." Woher hat es die Hoffnung geholt?

Toma:

Vielleicht aus der Erinnerung. Obwohl ihre Zeit bei den Eltern als Trennungskind auch recht schwierig war. Aber es gab wohl glückliche Erinnerungen, die ihr geholfen haben, ihre Sinne zusammenzuhalten.

Was machen so einschneidende Erlebnisse, wie Kampusch sie ertragen hat, langfristig aus einem Menschen?

Toma:

Das ist wohl noch nicht ausgemacht. Sie geht sehr offen damit um, dass dieser Mann in ihrem Leben Schaden angerichtet hat. Aber sie versucht ihr Leben wieder zu erobern. Man kann ihr nur wünschen, dass ihr das gelingt.

Im Film gibt es Sexszenen. Basieren sie auf Spekulationen, oder hat Kampusch in den Interviews darüber gesprochen? In ihrem Buch spart sie das Thema aus.

Toma:

Sie hat nichts über die sexuelle Seite ihrer Beziehung zu dem Entführer gesagt. Es ist sehr verständlich, dass sie sich diesen Rest an Privatsphäre vorbehalten wollte. Aber wir konnten den Aspekt nicht außer Acht lassen, da das erwachende sexuelle Begehren des Entführers, als Natascha älter wurde, sicher eine große Rolle bei der Zuspitzung ihres Verhältnisses gespielt hat. Insofern ja, die Sexszenen sind Spekulation. Frau Kampusch hat sie, soviel ich weiß, als einigermaßen adäquat hingenommen.

Wie sind Sie mit Eichingers Material umgegangen?

Toma:

Er hat 60 Seiten einer ersten Fassung geschrieben, die schon einige Schlüsselszenen beinhalteten. Hätte er auch noch die folgenden Fassungen schreiben können, hätten sich die sicher auch noch sehr verändert. Ich habe dann in Rücksprache mit Sherry Hormann meinen Entwurf geschrieben.

Wenn Sie am Drehbuch gearbeitet haben, mussten Sie sozusagen selbst immer wieder hinunter in den Keller. Wie war das?

Toma:

Weniger deprimierend, als ich mir das vorgestellt habe. Es war auch spannend, aber ich war schon froh, wenn ich abends wieder rausdurfte.