Die Premiere von Yasmina Rezas “Ihre Version des Spiels“ im St. Pauli Theater ist ein glänzend besetztes Spiel mit Ebenen und Identitäten

Hamburg. Dass es nicht kompliziert werden würde, hat ja niemand behauptet. Also, bitte sehr: Eine Schriftstellerin schreibt die Rolle einer Schriftstellerin, die ebenfalls über eine Schriftstellerin schreibt und von einer Schauspielerin gespielt wird und dann einen sehr schönen Satz sagt, vielleicht den Kernsatz des Stückes: "Die zentrale Rolle des Schreibens zu erkennen bedeutet auch, die Wirklichkeit als unzulänglich zu erkennen."

Wer da noch durchsteigt? Ach, im Grunde ist es ganz simpel: Wäre die Realität nicht so lahm, müsste sich keiner auf dem Papier eine andere ausdenken. Interessanter ist die Frage: Wer spricht hier? Hannelore Hoger, wäre die einfachste (und falscheste) Antwort. Denn wessen Worte sagt sie? Die der Erfolgsautorin Nathalie Oppenheim, die sie spielt und als die sie in die französische Provinz zu einer Podiumsdiskussion über ihr neues Buch geladen ist? Oder die der Schriftstellerin, über die Oppenheim in ebendiesem Buch schreibt und die sie diese Worte sagen lässt? Oder etwa die von Yasmina Reza, der - echten - Erfolgsautorin, die das Stück verfasst hat? Letzteres erscheint dem Zuschauer doch am wahrscheinlichsten, und natürlich - also: vielleicht natürlich - ist er Reza genau in diesem Moment auf den Leim gegangen. Denn Reza macht in "Ihre Version des Spiels", das Ulrich Waller jetzt auf die Bühne des St. Pauli Theaters gebracht hat, auch das zum Thema: die Wahrheit der Kunst, die Identität des Künstlers in oder hinter seiner Arbeit. Eine dramaturgische Matroschkapuppe. Reichlich verschachtelt, aber Yasmina Reza versteht es wie immer meisterhaft, daraus intelligente Unterhaltung zu machen.

Zugegeben, Rezas neues Stück ist kein auf Anhieb zugänglicher Knaller wie "Kunst" oder "Gott des Gemetzels". "Ihre Version des Spiels" ist im ersten Teil sogar recht statisch: Es simuliert eine Podiumsdiskussion und ist der stellvertretende Stoßseufzer einer Schriftstellerin, die permanent gefragt wird, wie viel von ihr selbst denn eigentlich in ihren Figuren steckt. Dass diese Form der biografischen Literaturrezeption eine Autorin ziemlich nervt, ist nachvollziehbar, klingt als Sujet für ein abendfüllendes Theaterstück zunächst trotzdem nicht rasend überzeugend.

Die Schriftstellerin Nathalie Oppenheim (Hoger) soll der Journalistin Rosanna Ertel-Keval (Tatja Seibt) Rede und Antwort stehen, der aufgeregte Bibliothekar der Stadt (Oliver Urbanski) ist schweißgebadet und rührend hilflos in seinem ungelenken Bemühen um einen Veranstaltungserfolg. Und schließlich kommt auch noch Volker Lechtenbrink als geradezu brüderlehaft-jovialer Provinzbürgermeister vorbei, stopft sich mit Kräckern und Erdbeerbowle voll und rückt der armen und an dieser Stelle dann auch schon recht angetüderten Autorin Nathalie auf die Pelle. Es ist - dann doch - Boulevard am Ende, ein typisches Reza-Ausgeflippe, ein Entgleisen, aber vorher auch ein dichtes Kammerspiel, melancholisch, brüchig, komisch, bisweilen etwas diffus. Reza-Fan Waller schafft es indes, auch die Abgründe unter dem Boulevard offenzulegen - und sein Ensemble spielt ausnahmslos fantastisch.

In der Uraufführung in Berlin standen unter anderem Corinna Harfouch und Alexander Khuon auf der Bühne, aber auch am St. Pauli Theater hätte man sich die Besetzung gar nicht besser denken können: Das Quartett Hoger/Seibt/Lechtenbrink/Urbanski ist in absoluter Höchstform, und schon die schauspielerische Leistung ist den Besuch dieser Inszenierung wert.

Hannelore Hoger (mit Löckchen und Musterkleid dezent danebengestylt) zeigt großartig die zunehmende Schutzlosigkeit der berühmten Autorin, die steigende (Selbst-)Verachtung einer Frau, die sich lieber hinter ihrem Werk verstecken möchte, als ständig als Person präsent zu sein. Ihre Gegenspielerin ist Tatja Seibt, der man wahrlich nicht nachsagen kann, dass sie als Rosanna dem Beruf der Kulturjournalistin besonders viele Sympathiepunkte verschaffen würde. Was sie allerdings bravourös tut. Sie ist herablassend, eitel, eine schöne Intellektuelle, kühl, schick, gut vernetzt und enervierend; eine Frau, die Schwächen der von ihr inquisitorisch interviewten Schriftstellerin schnell durchschaut und für bissige Bemerkungen oder vergiftete Komplimente ("Witzige Schuhe auch!") nutzt.

Oliver Urbanski als Provinzkulturliebhaber mit eigenem Lyrikbändchen ist hinreißend beflissen, ohne seine Figur zu verraten, und Volker Lechtenbrink schließlich führt als schnauzbärtiger Bürgermeister geradezu furios zum hemmungslos entgleisten Finale.

Der Abend, der nur dann etwas nervt, wenn gleißende Glühbirnen die Szenen voneinander trennen und das Publikum blenden, ist gleichermaßen lässig wie sehr präzise gearbeitet. Und zum Glück ist die Wirklichkeit keineswegs so unzulänglich, wie Madame Reza (oder die Autorin, die die von ihr erfundene Autorin erfunden hat) behauptet. Man braucht eben nur jemanden wie sie, um den Medien- und Literaturbetrieb so genau zu beobachten und so klug auf Papier zu bringen. Und jemanden, der die Vorlagen aufs Allerfeinste auszuschöpfen weiß. Verdiente Bravos für diese Version des Spiels.

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