Ein Gespräch mit dem Schauspieler Jeremy Irons, der nach Hamburg kam, um seinen Film “Nachtzug nach Lissabon“ vorzustellen.

Hamburg. "In jedem Beruf gibt es ein Auf und Ab", sagt Jeremy Irons, 64, in der Mitte des Interviews, als wir über Filme sprechen. "Zum Auf zählt dabei der 'Nachtzug nach Lissabon', den ich mit Bille August gedreht habe, zum Ab der Film danach, den ich in Hollywood drehte. Das stundenlange Herumwarten jeden Tag, das war fürchterlich, so ganz anders als mit Bille, der jede Szene höchstens zweimal dreht und sehr präzise arbeitet."

Zu den Aufs im Journalistenberuf gehört ein Gespräch mit Jeremy Irons, der lässig im Hotel Vier Jahreszeiten vor einem sitzt, zunächst ganz konzentriert und dann zunehmend charmant. Aus seinen warmen braunen Augen blickt er so ein ganz klein wenig fordernd. Ja, der Mann hat was und ganz bestimmt seine besten Tage noch nicht hinter sich. Der britische Schauspieler, Oscar- und Golden-Globe-prämiert, gilt als durch und durch englisch, wird gerne als Intellektueller, als Aristokrat, aber auch als dunkler Liebhaber besetzt, wie beispielsweise im Film "Verhängnis", in dem er neben Juliette Binoche den Liebhaber der Freundin seines Sohnes spielte. Zu Irons' größten Kassenerfolgen zählt Bille Augusts Verfilmung von Isabel Allendes Roman "Das Geisterhaus" vor genau 20 Jahren. Ebenfalls in Lissabon gedreht wie sein neuer Film "Nachtzug nach Lissabon", eine internationale Koproduktion, in der ebenalls die deutschen Schauspieler Martina Gedeck, Burghart Klaußner und August Diehl mitspielen. Der Film kommt am 7. März in die Kinos.

Vor neun Jahren erschien Pascal Merciers Roman "Nachtzug nach Lissabon". Das Buch wurde zum Weltbestseller und in 32 Sprachen übersetzt. Allein in Deutschland verkaufte sich die Geschichte über den Schweizer Lehrer Raimund Gregorius, der Hals über Kopf seine Schule verlässt und mit einem Zug nach Lissabon fährt, um dort der Geschichte eines Buches über den Poeten und Arzt Amadeu Prado nachzuspüren, 2,5 Millionen Mal. Wir sprachen mit Jeremy Irons über diese Rolle, über sein Engagement für die Umwelt und übers Theaterspielen.

Hamburger Abendblatt: Beide Filme handeln von der Liebe in der Diktatur. Haben Sie mit Bille August jetzt ein zweites 'Geisterhaus' gedreht?

Jeremy Irons: In der Art, wie Bille arbeitet, schon. Er schart gerne eine tolle Crew um sich und arbeitet dann sehr ruhig und organisiert. Es herrscht gute Stimmung beim Drehen. Das ist ihm wichtig und den Schauspielern natürlich auch. Es ist sehr, sehr angenehm, mit ihm zu arbeiten. Lissabon ist mir allerdings nach 20 Jahren wie eine vollkommen andere Stadt vorgekommen. Ein Grund für mich, die Rolle des Schweizer Lehrers anzunehmen, war, wieder einen Film mit Bille August zu drehen.

Sie arbeiten sehr viel: Was haben Sie alles im vergangenen Jahr gemacht?

Irons: Ich habe zwei Filme gedreht, zwei Fernsehfilme über Heinrich IV., zwei Serien über 'Die Borgias', zwei Dokumentationen, einen davon über Müll und dessen Entsorgung und einen über Shakespeare.

Wie viele Tage Arbeit waren das?

Irons: Ich hatte im vergangenen Jahr zwei Wochen frei.

Wie nähern Sie sich einer Rolle? Kriechen Sie in die Figur hinein oder nähern Sie sich ihr von außen, indem Sie alles über sie lernen?

Irons: Das kommt auf die Rolle an. Ich versuche, alles über die Figur zu lernen. Auch Dinge, die nicht im Text stehen: Wie lebt er, was liebt er, womit beschäftigt er sich? Dann weiß ich, wie er das Leben sieht, und kann mich fühlen wie er. Wenn ich eine Rolle spiele, will ich so sein wie dieser Mensch.

Wie haben Sie sich auf die Rolle des Schweizer Lehrers vorbereitet, was wissen Sie über ihn?

Irons: Es steht alles im Buch. Er ist Schweizer, ein Lehrer, er ist ein Mann des Wortes. Er lebt sehr organisiert und zurückgezogen. Ich muss als Schauspieler ständig Flugzeuge oder Züge besteigen, um irgendwo hinzufahren. Für ihn ist das aber etwas Besonderes, ein Ereignis. Ich konnte mich genau in ihn reindenken.

Kennen Sie Menschen, die ihr gewohntes Leben ganz plötzlich verlassen haben?

Irons: Ja. Ein Freund von mir war Geschäftsmann, als seine Ehe in die Brüche ging, hat er sein Leben umgekrempelt und wurde zum Umweltschützer. Solche Geschichten kenne ich.

Ist Ihnen das auch schon passiert, obwohl Sie ja einen Beruf haben, in dem Sie viele Facetten ausleben können?

Irons: Ich weiß, ich habe viel Glück mit meinem Beruf gehabt. Und das weiß ich zu schätzen. Aber auch ich kenne den Wunsch auszusteigen. Als ich Ende 40 war, wurde mir alles ein bisschen langweilig. Und wenn einem langweilig ist, wird man auch langweilig. Zumindest als Schauspieler. Ich fühlte mich zu wenig gefordert. Ich bin aus meinem Beruf ausgestiegen und habe sechs Jahre lang ein altes Haus renoviert, das ich gekauft hatte. Ich habe nur sehr wenig gearbeitet, gerade so, dass ich meine Rechnungen bezahlen konnte. Danach hatte ich wieder Lust auf den Schauspielberuf.

Sie haben sehr viel Theater gespielt. Wollten Sie lieber auf die Bühne?

Irons: Ich mache da keinen Unterschied. Film und Bühne sind anders, aber sie ergänzen sich.

Sie haben eine Dokumentation über Müll gedreht, der die Menschen vergiftet. Engagieren Sie sich da auch privat?

Irons: Ja, ich versuche Müll zu trennen, weniger wegzuwerfen und keine Plastiktüten mehr zu benutzen. Ich bin heute durch den Hafen gefahren und habe riesige Flächen voller Müll gesehen. Was passiert damit? Das löst sich doch nicht in Luft auf, wenn man es verbrennt. Das atmen wir ein. Wir alle, jeder Mensch hat Nanoteile aus Plastik in sich. Furchtbar.

Zurück zum 'Nachtzug'. Wie war die Arbeit mit den deutschen Kollegen?

Irons: Es war die pure Freude mit Bruno Ganz und Martina Gedeck zu arbeiten. Martina ist sehr sensibel, offen, hat viel Humor. Es ist schön, mit begabten Kollegen zu arbeiten. Bruno Ganz ist ein kraftvoller Schauspieler, er ist sehr zurückhaltend, geradezu schüchtern.

Was war das Beste an dieser Arbeit?

Irons: Alles im Leben, das glücklich macht, ist gut. Ich konnte in diesem Film mit Schauspielern und einem Regisseur arbeiten, die ich bewundere. Der Film behandelt ein filigranes Thema, und ich habe versucht, möglichst zurückhaltend zu spielen. So kann das Publikum mit mir die Geschichte erleben. Ich liebe auch den romantischen Verfall, den der Film zeigt.