Heute startet das plattform-Jugendfestival am Ernst Deutsch Theater. Intendantin Vértes-Schütter über das Projekt, Theaterarbeit und Politik.

Hamburg. Das Haus zu öffnen und mit der Stadt zu vernetzen sind zwei wichtige Impulse, die Isabella Vértes-Schütter in den letzten Jahren realisierte. Doch die nun 50 Jahre alte Intendantin des Ernst Deutsch Theaters - die auch Ärztin, SPD-Politikerin, Bürgerschaftsabgeordnete, Schauspielerin und dreifache Mutter ist - verfolgt so behutsam wie konsequent strukturelle und künstlerische Reformen an der Mundsburg. Zu einem ihrer größten Anliegen und Erfolge zählt die Etablierung einer Programmschiene, in der seit 1999 Jugendliche Theater für Jugendliche machen. Die Eröffnung der plattform-Bühne und die Gründung des plattform-Festivals vor zehn Jahren erfolgte aus eigener Kraft, doch mithilfe von Sponsoren und Stiftungen. Vom 20. bis 23. Februar öffnet die Intendantin erneut etwa 500 Jugendlichen ihr Haus.

Hamburger Abendblatt: Sie müssen mit dem privaten Ernst Deutsch Theater Geld verdienen, haben aber trotzdem neue Erzählweisen und damit auch zeitgemäße Sehgewohnheiten etabliert. Dankt Ihnen das Publikum das immer?

Isabella Vértes-Schütter: Wenn die Zuschauer an der Geschichte dranbleiben können, emotional erreicht werden und nicht das Gefühl haben, es ginge nur um Provokation, nehmen sie auch etwas auf, was sie sonst eher abgelehnt hätten. Es gibt auch Zuschauer, die nur bestätigt bekommen wollen, was ihrer Welt entspricht. Aber ich erlebe gerade bei Älteren das Gegenteil und eine vorurteilsfreie Neugier. Es gelingt uns, eine Brücke zwischen den Generationen herzustellen. Wir sind ein Privattheater, das im Schnitt eine Auslastung von 70 Prozent realisieren muss, um kostendeckend zu arbeiten. Bei 744 Plätzen sind das viele Menschen, die man jeden Abend erreichen möchte.

Wie erfüllen Sie die Vorgabe?

Vértes-Schütter: Aufgrund der Lage und Größe des Theaters müssen wir ein breites Programm anbieten - Klassiker, Komödien und moderne Stücke, auch mit prominenten Darstellern, wie demnächst Judy Winter in der Uraufführung "Der Teufel und die Diva", oder Thekla Carola Wied in "Geliebter Lügner". Sehr wichtig ist auch, dass wir für Jugendliche und mit ihnen Theater machen. Damit haben wir begonnen, noch bevor Jugendarbeit angesagt war. Nach dem Umbau des Foyers brachten wir dort erste Produktionen heraus.

Ursprünglich hieß das EDT Junges Theater, schon Friedrich Schütters Gründungsidee war die Förderung des künstlerischen Nachwuchses, oder?

Vértes-Schütter: Unsere Jugendsparte versteht sich nicht in erster Linie als Talentschmiede, auch wenn einige der Teilnehmer des Jugendclubs schon an Schauspielschulen aufgenommen wurden. In den verschiedenen Jugendclubs gibt es die ganze Spielzeit über ein kostenloses Angebot für Jugendliche, sich hier auszuprobieren und die Ergebnisse im Rahmen des plattform-Festivals zu zeigen. Es greift jedes Jahr ein gesellschaftlich relevantes Thema auf, fördert den Dialog zwischen professionellen Theatermachern und der Jugendkultur. Auch die Jugendlichen unterschiedlicher Schulformen und Herkunft begegnen sich und können sich austauschen. Auch solche, die Theater aus familiärem oder schulischem Kontext noch gar nicht kennen.

Warum gehen Jugendliche Ihrer Ansicht nach nicht ins Theater?

Vértes-Schütter: Ich glaube, dass sie es nicht kennengelernt haben oder nicht herangeführt werden. Man lernt Theater am besten kennen, wenn man es ausprobiert: entweder auf oder hinter der Bühne. Theater ist ein großes Spielfeld und bietet kreative Freiräume, in denen Jugendliche sich ausprobieren und - davon bin ich überzeugt - auch besonders gut lernen können. Sie lernen Verantwortung zu übernehmen und auch die eigene Wirkung zu erproben. Hilfreich gerade in dieser Lebensphase, um ihre Persönlichkeit nach außen zu vertreten.

Hat das Projekt neben den pädagogischen auch künstlerische Aspekte?

Vértes-Schütter: Mir liegen Jugendliche sehr am Herzen. Ich habe sehr viel Freude daran, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Ich glaube, ein großes Missverständnis in unserer Gesellschaft ist, dass Jugendliche sehr häufig als Problem gesehen werden und nicht als Potenzial. Es gibt doch kaum etwas Schöneres, als daran mitzuwirken und teilzuhaben, wie junge Menschen sich entwickeln. Das ist eine große Bereicherung, denn sie tragen einen großen Schatz in sich. Und je länger wir dabei sind, desto mehr sehe ich, dass die Ergebnisse der Jugendprojekte beim Festival auch eine große künstlerische Kraft haben.

Sie selbst sind ja nicht nur künstlerisch, sondern auch politisch engagiert. Bei der letzten Wahl wurden sie auf dem Listenplatz 60 in die Bürgerschaft gewählt. Was sind Ihre Aufgaben?

Vértes-Schütter: Ich bin im Kultur-, Gesundheits- und Wissenschaftsausschuss. Es ist interessant, über die eigene Institution hinauszublicken. In zwei Jahren Politik habe ich vieles gelernt. Man schaut anders aufs eigene Haus, wenn man sich mit dem größeren Kontext beschäftigt. Wird auch bescheidener, weil man versteht, was für Anforderungen in der Stadt bestehen.

Wie bekommen Sie Ihre Aufgaben als Schauspielerin, Intendantin, Bürgerschaftsabgeordnete, Vorsitzende der Stiftung Kinderhospiz Sternenbrücke und Ihre Familie unter einen Hut?

Vértes-Schütter: Ich habe das Gefühl, es geht, weil ich die Dinge tue, die ich wirklich tun möchte. Meine Kinder sind theaterbegeistert, stehen hinter mir und sind gern hier. Daniel, 22, ist sowieso auf der Schauspielschule und in der Band kollektiv 22, Mischa, 14, ist im Jugendclub, und Jenny, 23, macht derzeit ihr Fachabitur. Ich beschäftige mich mit den Dingen, die mir am Herzen liegen. Manchmal ist alles zu viel, und ich muss am Zeitmanagement arbeiten. Aber was viele als Fluch empfinden, ist für mich die Rettung. Wenn ich nicht überall mein Handy und den iPad hätte, könnte ich das Pensum nicht bewältigen.

Muss auch das Theater heute anders auf sich aufmerksam machen?

Vértes-Schütter: Theater war mal im Zentrum der Gesellschaft, heute müssen wir uns ganz anders darum bemühen zu vermitteln, was wir tun.

Womit wir wieder beim Jugendprogramm wären.

Vértes-Schütter: Ja, da schließt sich ein Kreis. Es schließen sich immer wieder Kreise. Für das Kinderhospiz Sternenbrücke konnte ich die Öffentlichkeit nutzen, die ich durch das Theater habe. Was ich als Ärztin in der Kinder- und Jugendpsychiatrie kennengelernt habe, beschäftigt mich auch beim Nachdenken über kulturelle Bildung. Ich bin mit den Themen unterwegs, mit denen ich eigentlich schon immer unterwegs war, und versuche, in unterschiedlichen Zusammenhängen etwas zu bewegen.

All inclusive lautet das Thema des 10. plattform-Festivals, es geht um Migration, Integration und Inklusion. Heute ist Eröffnung (20 Uhr); Forum "Theaterpädagogik in Hamburg", heute, 18 Uhr. Programm: www.ernst-deutsch-theater.de

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