Mehr als 25 Jahre haben zwei Dokumentarfilmer Menschen in “Berlin - Ecke Bundesplatz“ begleitet. 3sat zeigt die Ergebnisse dieser Arbeit

Das Leben schreibt die schönsten Drehbücher. Wer, wie die beiden Berliner Filmemacher Hans-Georg Ullrich und Detlef Gumm 25 Jahre lang mit der Kamera die gleichen Menschen begleitet hat, weiß das. Und jeder, der einen Teil ihrer Langzeitdokumentation "Berlin - Ecke Bundesplatz" sieht, weiß das auch. Denn mehr Schicksale, mehr Auf und Ab, Glück und Leid, Anfang und Ende als sie der Anwalt, die Bäckerfamilie, die Familie aus der Folge "Vater, Mutter, Kind" oder die Schornsteinfeger vom Kiez aus Berlin Wilmersdorf erfahren, mehr geht einfach nicht.

Menschen wie "du und ich", deren Lebensmitte der Bundesplatz in Berlin ist, haben die beiden Dokumentarfilmer Mitte der 80er-Jahre gesucht, als sie dort Zettel in Briefkästen steckten. 30 Personen hatten sich gemeldet. Sie sind der Mittelpunkt der 21 Filme, die Ullrich und Gumm in den 25 Jahren gedreht haben. Sechs davon zeigt nun 3sat. "Was ich von diesen 30 Personen gelernt habe, das hätte ich nicht in 500 Stunden freudscher Therapie lernen können", hat Hans-Georg Ullrich am Ende gesagt.

Es ist hoch spannend, was man in diesen Filmen über Menschen erfährt. Es sind Leben im Zeitraffer, so genau wie Tagebucheintragungen, so authentisch wie Reportagen und so nah dran, wie es sonst nur Freunden und Familie gelingt, an einen Menschen ranzukommen. Das Aufregendste ist sicher, dass man all diese Leben nun auch vom Ende her betrachten kann. War es immer schon so angelegt, wie es ausgegangen ist, kann man sich fragen. Wo liegen die Dreh- und Knackpunkte? Welche Erfahrungen sind wichtig, welche wären besser vermieden worden? Viele Fragen wirft diese Langzeitdoku auf. Jede einzelne ist anregend. Und wann kann man schon mal Menschen beim Leben zuschauen?

Beispielsweise im ersten Teil, der mit "Feine Leute" überschrieben ist und der zwischen 1986 und 2012 den Berliner Anwalt Ülo Salm porträtiert. Zu Beginn fährt Salm mit seinem Rolls-Royce über den Berliner Kurfürstendamm, am Arm baumelt ein Goldkettchen. Alles an dem blonden Mann mit der tadellosen Artikulation deutet auf neureich und schlechten Geschmack. Zu Hause, "im schönsten Haus am Bundesplatz", erstickt man an weiß-goldenem Mobiliar, Spiegeln. Hier geht es üppig zu, der Hausherr, der im Verlauf des Films erklärt, es sei ihm wichtig, sein Leben lang "Contenance zu wahren" und kaum Gefühle zu zeigen, präsentiert sich neben der schwarzlockigen Ehefrau Constanze, die "Frauchen" zu nennen ihm nie über die Lippen kommen würde. Obgleich sie ganz genau danach aussieht.

Salm ist Prominentenanwalt. Zu Beginn der Doku, 1988, holt er den ehemaligen Boxer Bubi Scholz aus dem Gefängnis ab, als dieser entlassen wird. Später macht er Geschäfte mit Frederic von Anhalt, dem Adoptivprinzen und 8. Ehemann des ehemaligen Hollywoodstars Zsa Zsa Gabor. Salm versucht sein Glück in Tallinn nach der Öffnung der Mauer. Er verlegt seine Praxis nach Mitte, ins neue Zentrum Berlins, baut eine alte Villa im Osten zu einem üppigen Heim aus. Ehefrau Constanze, die immer wieder erklärt, ihr Mann sei nie zu Hause, macht derweil ein Geschäft für Teddybären auf und arbeitet als Klatschreporterin.

Dann der Bruch. Das Ehepaar trennt sich, Ülo Salm kommt in Untersuchungshaft, weil er Kredite erschwindelt hat. 14 Monate bleibt er im Gefängnis, seine Frau besucht ihn dort. Am Ende wird er zu fünf Jahren Haft verurteilt, aus Gesundheitsgründen aber entlassen. Salm sagt später in die Kamera, er wolle nun "lieber Fahrrad fahren". Das sei sowieso gesünder. Jahre später - Vermögen, Autos und Haus hat er verloren - erklärt er den Dokumentarfilmern: "Ich habe eine ganze Menge zu bereuen." Frau Constanze gibt inzwischen Benimmkurse und hofft, irgendwann "doch noch den Traumprinzen zu treffen. Ich will ja nicht immer arbeiten." Der ehemalige Anwalt Salm, der in seinem Beruf nicht mehr arbeiten darf, zieht wieder in eine Wohnung am Bundesplatz, dorthin, wo alles begann. Wovon er lebt, man weiß es nicht. Befragt zur Doku erklärt er, "ich finde mich im Film authentisch".

Authentisch ist der Film, ein bewegendes Zeitdokument, ein Fingerabdruck unserer Gegenwart. Diese Doku ist Geschichts- und Sozialstunde. Man weiß, wie es in den 1990er- und 2000er-Jahren in Berlin aussah, was man aß, anhatte, wie man miteinander umging. Gumm und Ullrich konnten "den Traum jedes Dokumentarfilmers verwirklichen. Heute wäre so was den Sendern zu teuer."

"Berlin - Ecke Bundesplatz" Di, 19.2., 22.25 Uhr und 2.25 Uhr 3sat, weitere Folgen am 20., 21.2., 22.25 Uhr, 22.2., 22.35 Uhr, jew. 3sat