Ein Kommentar von Verena Fischer-Zernin

Eine künstlerische Darbietung ist keine Einbahnstraße. Selten wird so deutlich wie bei Premieren, dass zwischen Aktiven und Rezipienten eine Beziehung besteht, dass das Publikum mehr beizutragen hat als Eintrittskarten zu erwerben und hinterher brav zu applaudieren. Bravo- und Buhrufe spiegeln unmittelbar wider, wie ein Stück bei den Leuten angekommen ist. Hoffentlich jedenfalls.

Bei der Premiere von "La Traviata" am Sonntag schaukelten sich Buhs und Bravos, kaum hatte das Regieteam die Bühne betreten, gegenseitig zu einer wahren Wand auf. Und das, obwohl Johannes Erath das Stück alles andere als provozierend oder avantgardistisch inszeniert hatte. Da konnte einen der Verdacht beschleichen, dass noch andere Mechanismen am Werk waren als die spontane, ungefilterte Reaktion auf eine künstlerische Leistung oder die Trauer um die gute, alte, plüschige Vorgänger-"Traviata".

Nein, dieses Übermaß an Buhs war kein Einzelfall. In der Staatsoper haben die sich so verselbstständigt, dass man dahinter finstere Motive vermuten könnte: Gewohnheit? Selbstdarstellung? Kulturpolitisches Fädenziehen durch Einschüchterung? Ganz ohne Hintergrund sind derlei Verschwörungsspekulationen nicht. Schon im 19. Jahrhundert haben bezahlte Claqueure manche Premiere zerschossen. Aber nicht jede Tradition ist eine Rechtfertigung. Öffentliches Niedermachen ist heute genauso unfair wie damals.