Ein Auftritt der Gegensätze. Die Diva und ihre Carolinger-Band rissen das Publikum beim “Ich hab Hunger!“-Konzert im Tivoli zu Jubelstürmen hin

Hamburg. Der Ansager kündigt vollmundig eine Frau an, auf die wir alle gespannt warten. Doch die Diva zickt - und lässt warten. "Ich will noch nicht raus", schmollt Carolin Fortenbacher aus dem Off der Hinterbühne in Schmidts Tivoli. "Ich will erst etwas essen." So beginnt ihr Konzert der völlig anderen Art unter dem Motto "Ich hab Hunger!". Die grüne Kühlschrank-Tür fliegt auf. Doch Lebensmittel sind nicht zu sehen. Nur ein deplatziert am Kronleuchter hängender Apfel. Fallobst für den Notfall? Unter Dampfwolken erscheinen die Carolinger als Vorhut und neue Band der Sängerin. Mit den fünf Musikern bereitet sie ihre neue Platte "Kamionka" vor, will wohl mit ihrem hinreißend schrägen Nummern-Verschnitt den Appetit darauf wecken. "Ich sing mich jetzt satt", verkündet La Fortenbacher trotzig im wippenden Schmetterlingsflügel-Tütü und serviert springend und tanzend dem faszinierten Publikum einen wilden Lieder-Mix von Klassik bis Pop und Rock.

Sie kennt keine Scheu vor Schock-Kontrasten und spielt sie mit diebischer Freude und hochmusikalischem Können aus. Zu Mike Oldfields und Maggie Reillys Song "To France" hopst Fortenbacher auf dem Trampolin wie ein ausgelassener Teenager oder gelenkiger Hampelmann. Darauf zerrt sie "Caros dicke Kiste" auf die Bühne und zaubert Clownsnasen und allerlei Schnickschnack hervor. Kate Bushs "Babooshka" verwandelt sie in eine Maskenfigur aus dem venezianischen Karneval, um sich dann als Grotesksängerin zu entpuppen: Francis Lais lauwarme Plätscherschnulze ("Ein Mann und eine Frau") wird zur Sexparodie "Liebesramadan": "So fangen Liebesdramen an, du darfst nicht ran an deinen Mann", reimt Fortenbacher und bespringt mangels eines Kerls den plüschigen Cocktailsessel.

Apropos Liebesdramen: An diesem Sonntag erklingt nicht nur in der Staatsoper Verdis "La Traviata", sondern auch im Kiez-Theater. Wohl noch nie hat man Violettas Abschiedsarie "Addio dell passato" so kokett und unverschämt putzmunter singen hören und sehen. Was Fortenbacher und Band unter Dominik Popots und Martin Langers Leitung mit dem A-ha-Hit "Take On Me" anstellen, sucht ebenso seinesgleichen: Zuerst klimpern die Carolinger den Song süß wie ein Barocklied, um respektlos und abrupt in Hard Rock zu wechseln. Schon zur Pause gibt es dafür den Jubelsturm der geplätteten Fangemeinde.

Bekanntermaßen erweist sich die Koloraturkünstlerin auch als wahre Vokalakrobatin mit gläsernen Falsett-Tönen, dass sich einem die Nackenhaare aufstellen und man nur darauf wartet, dass ein paar Sektgläser im Saal zerspringen. Zum absurd komischen Kabinettstück mit zungenbrecherischem Parlando wird die Schilderung einer in Mord endenden Festtafel bei Birnbaums auf eine ungarische Rhapsodie von Franz Liszt.

Die eigentliche Überraschung des lautstarken und mit vollem Einsatz des Stars und seiner Band gepowerten Konzertabends ist: La Fortenbacher kann auch innig und leise sein. Zu den schönsten Momenten zählt der vom Gitarren-Quartett begleitete Fleetwood-Mac-Titel "Never Going Back Again" mit Country-Sound-Anklängen. Oder die letzte Zugabe (unbedingt nicht verpassen!): Im Duett mit ihrem Mann, dem Gitarristen und Schauspieler Sascha Rotermund, singt sie den Tom-Waits-Blues "Waltzing Matilda".

La Fortenbacher und die Carolinger servieren ein originelles Konzert mit krassen Gegensätzen und Stilbrüchen, was die Sängerin genießt und zu hemmungsloser Hochform anspornt.

"Ich hab Hunger!" 11. und 12. November 2013, jeweils 20.00, Schmidts Tivoli, Karten unter T. 31 77 88 99; www.tivoli.de