Starke Konzerte mit Musik von Ligeti, Gubaidulina, Bruckner und anderen beim Festival “Lux aeterna“

Hamburg. Die Szene wäre aus jedem Drehbuch geflogen. Aber sie hat sich genau so ereignet. Als der Taxifahrer, ein Ledermann mit filmreifer Reibeisenstimme, die Innenbeleuchtung einschaltete, um Wechselgeld herauszugeben, sagte er das, was er nachts wahrscheinlich immer sagt in solchen Momenten: "Es werde Licht." Er hatte keinen Schimmer, dass sein Fahrgast gerade von einem Konzert des Festivals "Lux aeterna" aus dem Dom St. Marien kam, in dem es um eine höhere Frequenz jenes Lichts ging, das Gott am ersten Schöpfungstag auf die Erde sandte. Als, Äonen vor dem Taxifahrer, Gott Licht werden ließ, schied er damit den Tag von der Nacht. So steht es im ersten Buch Mose. Doch das Licht auf Erden ist zeitlich. Es kommt, es geht. Das ewige Licht ist solcher Begrenzung enthoben, es scheint ohne Unterlass.

Ewiges Licht ist aber nur um den Preis des Lebens zu haben, Erleuchtung erfährt die Seele erst nach dem Tod. Das jedenfalls ist die Botschaft der vier Textzeilen aus György Ligetis in 16 Stimmen aufgeteiltem A-cappella-Stück "Lux aeterna", das der feine Chor sine nomine aus Wien in St. Marien auch sang. Doch so sehr der Text alle Hoffnung aufs Diesseitige fahren lässt ("Die ewige Ruhe gib ihnen, Herr"): Die Musik holt das Numinose in unsere Welt, sie holt den Himmel auf die Erde, sie nährt die Hoffnung darauf, dass das ewige Licht uns noch bei lebendigem Leib erleuchten könnte.

Das mag ein Grund dafür sein, weshalb die Konzerte des neuen, (auch) im Angesicht von Ligetis Werk "Lux aeterna" getauften Hamburger Festivals mit spiritueller Musik trotz ihrer teilweise sehr esoterischen Programme hervorragend besucht sind. Auch die beiden Kirchenkonzerte in St. Katharinen mit dem Ensemble Resonanz am Freitag und in St. Marien mit dem Organisten Martin Haselböck und dem Chor sine nomine am Sonnabend hatten überraschend viel Publikum.

Die filigran-brillant aufspielenden Resonanzler ließen in Claude Viviers "Wo bist du Licht!" zum starken, ungekünstelt wirkenden Gesang von Cora Burggraf zunächst eine wuchtige Todessehnsucht anklingen. Mark Andres musikalische Mikroskopie "Kar" wurde weitgehend Opfer der akustischen Gegebenheiten, die spinnenfeine Komposition klang wie Insektenmusik. Zum rauschhaften Fest des Lebens und des Klangs geriet im zweiten Teil Sofia Gubaidulinas "Fachwerk", dem Elsbeth Moser als Solistin am Bajan eine nicht nur an geistlichen Maßstäben gemessen unerhörte Sinnlichkeit gab.

Die Gäste aus Wien hatten ein subtil komponiertes Programm nach St. Marien gebracht, in dem Orgel und Gesang sich lange sorgsam aus dem Weg gingen. Haselböck spielte Messiaen, eine Improvisation und Ligetis "Volumina", wo die Materialität der Orgel an ihre Grenzen geführt wird. Die Musik ließ an einen gigantischen Siphon denken, der unter gewaltigem Druck ungeordnet und unberechenbar Töne verspritzt und dabei selbst langsam in Stücke zerstiebt. Der Chor sine nomine (Leitung Johannes Hiemetsberger) hatte mit etwas Mystisch-Zeitgenössischem des Italieners Pier Damiano Peretti begonnen, sang aber auch geistliche Musik von Verdi und Bruckner. Erst im Finale vereinten sich Sänger und Orgel zu Zoltan Kodálys "Laudes organi", einer Apotheose der Musik, die singt und lobt und dient - dem, der das Licht werden ließ.