Bei der Star-Club-Legende gingen die späteren Weltstars in die Lehre. Jetzt ist der Brite, der bei Pinneberg lebte, im Alter von 72 Jahren gestorben

Hamburg. Als Tony Sheridan 1960 auf den Kiez kam, war der Rock 'n' Roll in Hamburg bereits offiziell abgemeldet. Der Sound, den Kinofilme wie "Außer Rand und Band" und indonesische Rockbands wie Tielman Brothers in Hamburg populär gemacht hatten, war nach den Krawallen rund um das Konzert von Bill Haley 1958 bei den Behörden und in der von Jazzern dominierten Musikszene unten durch.

Aber Tony Sheridan, geboren am 21. Mai 1940 in Norwich als Anthony Esmond O'Sheridan McGinnity, hatte 1960 schon gelernt, sich durchzuschlagen. Beeinflusst von der elterlichen Leidenschaft für klassische Musik, lernte er schon als Kind das Spiel der Violine und der Gitarre, war Mitglied im Schulorchester und sang im Schulchor der City of Norwich School. 1956, als Chuck Berry, Jerry Lee Lewis, Little Richard und Elvis Presley zu Weltstars aufstiegen, gründete Sheridan seine erste Skiffleband The Saints und bekam ein Engagement im Londoner Club Two I's Coffee Bar. An den Abenden stand er auf der Bühne und spielte die Hits seiner Idole nach, den Rest der Nächte verbrachte er nicht selten schlafend in Hauseingängen.

Auftritte in der BBC-Show "Oh Boy" (als erster E-Gitarrist im britischen Fernsehen) und Tourneen als Begleitmusiker für Stars wie Gene Vincent und Eddie Cochran machten das Talent des jungen Musikers bekannt. Trotzdem weigerten sich Vincent und Cochran, Sheridan am 17. April 1960 mit dem Taxi von Bristol aus mit nach London zu nehmen. Sheridan galt als notorisch unpünktlich, durchgeknallt, kein idealer Partner für eine dreistündige Autofahrt - eine Fahrt, die zwischen Bath und Chippenham tragisch an einem Laternenpfosten endete. Eddie Cochran überlebte den Unfall nicht.

Dem Schicksal von der Schippe gesprungen, gründete Sheridan die Band The Jets und bekam das Angebot, im Kaiserkeller aufzutreten. Inhaber Bruno Koschmider entdeckte die Jets 1960 in der Two I's Coffee Bar. Jung, wild, dynamisch waren sie mit kleinen Gagen auf die Reeperbahn zu locken. Wirklich auszahlen sollte sich das Engagement der Jets für Koschmider nicht. Denn Tony Sheridan und seine Jungs sorgten derart für Furore, dass sie schnell vom Konkurrenz-Club Top Ten abgeworben wurden. Zu den neuen britischen Bands, die Koschmider hastig als Nachschub verpflichtete, gehörte auch eine stümperhafte Amateurkapelle aus Liverpool, die zuerst ins Indra abgeschoben wurde: The Beatles.

Für John Lennon, Paul McCartney, George Harrison, Pete Best und Stuart Sutcliffe war Sheridan schon ein Großer. Man traf sich im Stripclub Studio X auf der Großen Freiheit, lernte sich kennen, machte die Nächte zu Tagen, wohnte zusammen, spielte zusammen. Sheridan zeigte den Liverpooler Grünschnäbeln, wie man auf der Bühne abzuliefern hatte. Stundenlang übte er mit John Lennon und George Harrison an der Gitarre. Und da sich die Jets schnell wieder trennten, wurden die Beatles Begleitband für seine Solo-Auftritte und seine im Oktober 1961 veröffentlichte Single "My Bonnie". Nach diesem Titel wurde auch im Liverpooler Plattenladen des späteren Beatles-Managers Brian Epstein gefragt, und die Manie kam langsam ins Rollen.

"My Bonnie", von Bert Kaempfert produziert und in der Friedrich-Ebert-Halle aufgenommen, schrieb vor allem Popgeschichte, weil dies die erste offizielle Veröffentlichung mit den als Beat Brothers aufgeführten Beatles war. Die rockige Interpretation eines schottischen Volksliedes wurde im Zuge der Beatlemania ebenfalls ein Bestseller.

Als sich die Beatles und Tony Sheridan im April 1962 im neu eröffneten Star-Club trafen, waren die Fab Four schon auf dem Weg zum Weltruhm. Aber auch ihr "Lehrer", wie Paul McCartney ihn später nannte, feierte Hits ("Skinny Minny") und absolvierte Tourneen durch Europa und Australien. In Sydney zeigte er den Brüdern seines Saxofonisten Alex Young Kniffe an der Gitarre. Jahre später sollten Malcolm und Angus Young eine Hardrock-Band namens AC/DC gründen.

Sheridans Stern aber begann zu sinken. Gesprächsthema war er, wenn es um die Beatles ging. So ging Sheridan 1967, nach fünf Jahren als feste Größe im Star-Club, enttäuscht wie genervt als musikalischer Truppenbetreuer zwei Jahre lang nach Vietnam, die Nachrichtenagentur Reuters vermeldete irrtümlich seinen Tod im Gefecht. Später arbeitete er für Radiosender und widmete sich Blues, Folk und Buddhismus. Tonträger veröffentlichte er nicht mehr viele, aber mit dem Nimbus des Beatles-Mentoren versöhnte er sich und spielte weltweit auf diversen Beatles-Veranstaltungen.

Die letzten Jahre waren ruhiger. Der Liebe zu seiner Ehefrau Anna (sie starb 2011) wegen zog er nach Seestermühe bei Pinneberg und begeisterte sich für Taekwondo und Heraldik. Das aufwendige Zeichnen und Forschen im Rahmen der Wappenkunde ging zurück auf Sheridans Kindheit, als er in der Kathedrale von Norwich die Wappen alter Adelshäuser abzeichnete.

Sein Name wurde in Hamburgs Musikszene immer in Ehren gehalten, bei den Feierlichkeiten zum 50. Star-Club-Geburtstag im April 2012 durfte er in den Fliegenden Bauten nicht fehlen. Jetzt ist Tony Sheridan am Sonnabend in Hamburg nach langer Krankheit gestorben. In der Stadt, der er einst den Rock 'n' Roll zurückgegeben hat.